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Manche Tiere sind mir unheimlich. Einmal las ich eine Zeitschrift, in der
große, hochaufgelöste Fotos von Haien zu sehen waren. Beim Umblättern
achtete ich penibel darauf, nicht versehentlich ihre Zähne, Haut oder
Kiemen zu berühren. Das ist irrational, aber zu verkraften, zumal Haie und
ich in unterschiedlichen Wohnräumen leben.
Das trifft auf Stadttauben leider nicht zu. Die gefiederten Ratten sind
unangenehme Zeitgenossen. Torkelnd flanieren sie auf Radwegen,
Bahnübergängen und Wochenmärkten umher – zu Fuß, was allein schon
bedenklich ist. Vor einigen Jahren nistete sich eine Herde von ihnen auf
meinem Balkon ein.
Täglich boten sie eine groteske feder- und fäkallastige Schlacht ohne
konkretes Ziel, und eines Sommerabends flog einer der pöbelnden
Krawallbrüder in die angedockte Einzimmerwohnung. Die Stimmung war
angespannt. In einem ruhigen Moment trafen sich unsere Blicke, doch in
seinem deutete so gar nichts auf Leben hin. Leere. Seither weiß ich: Tauben
sind die Zombies der Lüfte.
Vorstellbar ist es, dass ein kluger Ornithologe einst versuchte zu
erforschen, was in den ziellos vor- und zurückwippenden Köpfchen der
seelenlosen Tunichtgute vor sich geht. Wahrscheinlich ist er nach
jahrelanger Mühe erschöpft in seinen Sessel gesunken, hat sich sein
mittlerweile schütteres Haar gerauft und heiser geraunt: „Ich geb's auf …“
Hätte er etwas gefunden, es wäre nur ein leises, statisches Grisseln
gewesen – wie das eines ältlichen Röhrenfernsehers nach Sendeschluss, ein
grauweißes Flimmern. Und die erfolgreich abgeschlossene Habilitation des
Vogelforschers hätte dann den klangvollen Titel „Das Rauschen der Tauben“
getragen.
Das Christentum kommt zu anderen Ergebnissen. Hier gelten Tauben als Boten
Gottes. Im Neoschamanismus wird es noch spezifischer. Seine Anhänger
erkennen in ihnen Krafttiere, also Geistwesen in Tiergestalt. Es heißt,
Menschen mit dem Krafttier Taube seien feinfühlige Wesen, die häufig nach
Frieden strebten. Ein pfiffiger Gedanke, wenngleich das auch in anderen
Fachkreisen verbreitete Symbol der Friedenstaube verhaltensbiologisch
unsinnig ist: Tauben sind angriffslustige Raufbolde. Soziale Kompetenz?
Leider nein, leider gar nicht. Weiter heißt es, Menschen mit dem Krafttier
Taube verirren sich auffallend selten. Das allein beweist, dass mein
Krafttier ein anderes sein muss.
Nichtsdestotrotz gurrt es gerade wieder hektisch vor der Balkontür, und ein
lieblos hergerichtetes Nest aus vier morschen Stöckchen liegt unter der
Bank. Das nahe Gewusel erinnert an die Stalker-Taube, die mir wiederum
anderswo begegnete. Ich taufte sie Ferdinand. Zögerlich versuchte er,
seinen Fuß in das halbgeöffnete Küchenfenster zu schieben – mehrmals. Dass
böse Absicht dahintersteckte, war spätestens klar, als Ferdinand sich in
allerbester Horrorfilmmanier langsam umdrehte und sein Gebiss fletschte.
Vielleicht habe ich das aber falsch in Erinnerung. Genau kann das niemand
mehr sagen.
31 May 2016
## AUTOREN
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