Abtropfgewicht: 2 Kilo Zuerst ein Fall aus siebentausend Metern Höhe. Das ging ja noch. Dann bemerkte ich, daß ich ohne Fallschrim war. Ich klammerte meine Mappe an mich, das bremste nicht gerade viel. Doch was machte das schon! Allzu lange würde es nicht dauern. Aus einem Flugzeug zu fallen - oder zu springen? - ohne Fallschrirm, das muß man erst mal hinkriegen. Der Boden kam nicht näher. Ich könnte versuchen Purzelbäume zu schlagen ... Ich bekam es zuerst nicht hin, dann schaffte ich einen. Und jetzt? Mit den Armen rudern - lächerlich ... sowas sieht man in Filmen. Mit den Beinen Laufbewegungen machen ... das würde die vertikale Fallbewegung in eine diagonale ablenken - allerdings nur im Traum. Der Boden kam nicht näher ... Was soll's! Schaden kann's nicht ... Ich machte mir einen Spaß draus ... etwaige Gottheiten im Himmel, die mich so sahen, würden sich wahrscheinlich ausschütten vor lachen. Ich glaube, der Boden kam jetzt doch näher ... Ich konnte nur noch nicht erkennen, ob ich immer noch senkrecht fiel ... allmählich wurde es spannend, ich bekam Herzklopfen, eine Vorfreude machte sich breit, total absurd, ich weiß, aber irgendwie war ich optimistisch ... Ich muß schneller denken, sonst bin ich unten, bevor ich mir meiner Lage richtig klar bin. Obwohl ... vielleicht besser so. Mir wurde schwindelig ... gleich tut's weh. Obwohl eigentlich wohl eher nicht. Ich schwitzte, die ganze Zeit schon, und zwar gehörig ... egal, einfach weiter Laufbewegungen machen. Und siehe da, ich kam unten an. (Wie Hänsel auf die Idee gekommen war, zum Geldautomat zu gehen, um Kapital für ein Flugzeug zu haben ... keine Ahnung ... keine Ahnung auch, wieso ich migekommen war, einstieg, abflog und hinausfiel oder -sprang (wo ist der Unterschied?)) Mein Mobiltelefon vibrierte: oh, SMS; ein Gedicht. Ich weiß nicht mehr wie es ging, aber es war Yüksels Art Abschied zu nehmen. Ich hatte mal gesagt, wenn ich sterbe, dann schreib mir ein Gedicht, aber ein lustiges, ist doch besser als trauern. Aber wieso jetzt so eine SMS? Ich hab's! Ich bin tot. Schnell nach Haus', um zu gucken, was da los ist. Mein Vater und meine Mutter standen in der Küche. Mein Vater sagt: "Komm doch am Wochenende zum Essen nach hause!" Ich erwidere: "Aber ich bin doch nicht mehr da." - "Stimmt, du bist nicht mehr da." Und wir fingen alle an zu weinen. Zurück zur Wiese, wo ich abgestürzt war. Meine Freunde standen um mich herum. "Und? Was macht ihr jetzt ohne mich?" Keine Antwort. Egal, war sowieso nur ein Traum. Und jetzt kommt sowas wie: Ich wachte auf und war so erleichtert, daß ich sofort reihum alle Freunde und Verwandte besuchte, um ihnen zu sagen wie lieb ich sie alle hab. Siebzig Jahre später stand in der Zeitung (unter den Todesanzeigen): "Susi Sorglos starb bei dem Versuch, das Nadelöhr im Kamel wiederzufinden." Hab' ich selbst inseriert, konnte ich mir nicht verkneifen, kannte sie ja immerhin ganz gut. von mue, 8. Juli 2007 (CC BY-NC-ND 4.0)