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# Asiaticus 1938: Chinas Musterprovinz

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Aus: Deutsches Zeitungsportal in der Deutschen Digitalen Bibliothek, Datengeber Deutsches Exilarchiv

### in: Pariser Tageszeitung (Quotidien de Paris) vom 9. Juni 1938

//Yen-an, Ende Mai//

Die Behörden, militärische Streitkräfte, Organisationen und die gesamte Bevölkerung des Spezial-Distrikts in Nordwestchina sind in einem Ziele geeint: in dem des chinesischen Sieges in dem Verteidigungskrieg gegen Japan. Das ist der erste und letzte Eindruck jedes Besuchers dieses Bezirks. Auf dem Weg nach Yen-an habe ich einen Studenten – einen aus den vielen Studentengruppen, die man überall auf den Straßen in Marsch trifft, gefragt, warum er von Anhwei nach Nord-Shensi reiste. Seine Antwort lautete: »Um China gegen Japan zu helfen.«

Der »Spezial-Distrikt« ist nur ein kleiner Teil Chinas, der sehr arm ist und eine Bevölkerung von knapp einer Million Seelen hat, doch ist er eine mächtige Barriere auf dem Weg der japanischen Invasion, eine Festung der nationalen Einheitsfront, in der sämtliche Bewohner eine einzige Armee der nationalen Verteidigung bilden und in der Tausende von revolutionären Studenten zu dem Zweck erzogen und ausgebildet werden, um die Massen an dieser Front zu organisieren, so daß sie aktiv in den Kampf eingreifen können. Es ist eben nicht ein »kleiner Distrikt«, sondern ein geistiges und kämpferisches antijapanisches Zentrum im Nordwesten, die militärische und politische Basis der Nordfront, eine Vorhut der Arbeit für einen einheitlichen Widerstand des gesamtchinesischen Volkes gegen die fremden Eroberer.

Die Autorität in diesem Spezial-Distrikt haben die chinesische Kommunistische Partei und die achte Rote Armee. Die Basis und das Prinzip für sie ist die Einheitsfront, die Idee einer geeinten Nation gegen Japan zu stellen, eine geeinte Nation mit allen Waffen, allen Massen, allen Klassen und unter der Führerschaft der Kuomintang und der Kommunisten.

Ich habe am Tag der internationalen proletarischen Demonstration, am 1. Mai einem Massenmeeting in Yen-an beigewohnt. Während sonst diese Feier den Bedrückten der ganzen Welt und dem Widerstand gegen den imperialistischen Kriegskapitalismus gilt, beklatschten hier Zehntausende von Arbeitern, Bauern, Studenten und Soldaten Reden, deren einziger Inhalt die Verteidigung Chinas, die Einheitsfront und der Kampf für den Weltfrieden gegen den Fascismus war.

Ich sprach mit Mao Tse-tung, dem Vertrauensmann des Militärkomitees der achten Armee, mit den Leuten der kommunistischen Partei, der Gewerkschaften und andere Organisationen im Spezial-Distrikt, mit den Vorständen der Regierungsbüros und vielen anderen – jede Auskunft bewies von neuem die Treue zur Sache der Einheitsfront und die Tatsache, daß es sich hier nicht um eine Taktik, sondern wirklich um den Sieg über den nationalen Feind handelte. Am stärksten berührte es mich, mit welcher eisernen ideellen Disziplin hier versucht wird, den Spezial-Bezirk zu einer uneinnehmbaren Basis im antijapanischen Kampf zu machen. Mao Tse-tungs Motto für diese Arbeit lautet: schärfstes und intensivstes Arbeitstempo und entschiedene einheitliche politische Führung.

Der Spezial-Distrikt liegt in nächster Nachbarschaft bereits besetzten Gebiets und ist der Hauptvermittlungsweg für die Unterstützung der Front in Shansi. Es gibt keine unmittelbare Gefahr der Invasion, da die achte rote Armee und die Partisanen in Shansi, Hopei, Chahar in Verbindung mit Shansi und den Truppen der Zentralregierung ständig die feindlichen Streitkräfte belästigen und angreifen, ihre Verbindungen stören und ihnen schwere Verluste beibringen. Die ganze achte rote Armee bis auf eine kleine Garnison ist an der Front, aber über die Hälfte der übrigen Bevölkerung des Spezial-Distrikts ist für Verteidigungszwecke militärisch vorbereitet und im Fall eines Angriffs würde der Gegner auf eine Art Territorialarmee von 300 000 Mann stoßen, für die die riesigen Gebirgsketten eine ausgezeichnete strategische Position bieten. Die ganze Bevölkerung ist gefechtsbereit und entschlossen, nicht einen Zollbreit nationalen Bodens dem Feind zu überlassen. Die Bauern arbeiten auf dem Felde, unterstü
tzt vom Militär, und werden gleichzeitig in Selbstschutzkursen ausgebildet. Es war keine Zwangsaushebung für militärische Dienste nötig – der Aufruf der Freiwilligenmeldung genügte vollkommen. So wurde der Spezial-Distrikt eine unmittelbare Basis für die Front. Er befindet sich in ständiger taktischer und geistiger Mobilisation.

Die Methode, die diese totale Mobilisation und politische Erziehung sichert, ist demokratisch, ist die Verwirklichung eines Systems einer Regierung, die aus dem Volke geschaffen für das Volk arbeitet. Ich mußte mich an Sun Yat-sens Ausspruch erinnern: »China braucht die Republik wie ein Kind die Schule.« Volksorganisation, Volkswahlrecht, volksmäßige Selbstregierung in den Gemeinden, Volksrichter und Volksmilitär – all dies ist hier in organischer Einheit verwirklicht. Man findet tatsächlich das Ideal einer Demokratie, die vom Volk ausgeübt wird, das Ideal Sun Yat-sens für China. Die ganze Armee ist an der Front und man braucht keine Armee der Kontrolle für die Daheimgebliebenen. Die Regierung kann sich ganz der Steigerung der demokratischen und volkhaften Aktivität ihrer Untertanen inmitten der nationalen Krise widmen.

Und das Volk hat Vertrauen zu der Regierung. Die Politik der Landaufteilung und die Konfiskation des großen Grundbesitzes ist entsprechend der gegenwärtigen Einheitsfront aufgehoben worden. Wo jedoch bereits eine Aufteilung erfolgt war, durften die Bauern das Land behalten. Das arme Volk und die kleinen Bauernschaft ist durch eine neue Gesetzgebung geschützt. Untragbare Pachtzinse sind modifiziert worden, und Richter und Polizei stehen jetzt wirklich im Dienste des Volkes. Korruption wird streng bestraft. Politische Gleichberechtigung aller Bürger ist strikt durchgeführt und gegen jede Unterminierung geschützt. Demokratie und Staatshilfe ergänzen sich in ihrer korrespondierenden Wirkung im Leben der Bevölkerung und helfen direkt zur Wirksamkeit der nationalen Mobilisation, schaffen die stärkste gemeinsame Arbeit für die Versorgung und die Unterstützung der Armee und stärken in vorbildlicher Weise die Konzentrierung des anti-japanischen Widerstandes durch einen einheitlichen nationalen Willen.

//Anmerkung: Die Schreibweise wurde weitestgehend wie im Original beibehalten. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert. Die Umschrift der chinesischen Orts- und Personennamen wurde der damals in deutschen Zeitungen üblichen (inkonsquenten) Schreibung angepaßt und dann durchgänging vereinheitlicht. (Eine Tabelle mit den Orts- und Personennamen in Pinyin und weiteren gebräuchlichen Umschriften am Ende der Artikelserie.)//

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