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# Asiaticus 1936: Hitler in Tokio

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### in: Die neue Weltbühne, Prag–Zürich–Paris, Nr. 48/1936 vom 26. November 1936, S. 1513–1515

//Schanghai, im November (1936)//

Japans ostasiatische Politik ist gegenwärtig Hitlers Politik in Europa so ähnlich, daß man sich fragt, ob Hitler bei den Generalen und Diplomaten in Tokio oder ob diese bei ihm zur Schule gegangen sind. Die ganze Propagandamaschine des japanischen Generalstabs sucht zu beweisen, daß es für Ostasien keine bedrohlichere Gefahr als die »rote Invasion eines dritten Landes« gibt. Alles, was Japan jetzt und in absehbarer Zeit an Gebieten, Seestützpunkten, Flughäfen in China und im östlichen Pazifik braucht, dient der Verteidigung Chinas und sogar Englands gegen die heranschleichende »rote Invasion«. Alles, was die japanische Hegemonie über China und ganz Ostasien stören könnte, wird propagandistisch unter der Sammelrubrik »rote Invasionsgefahr« zusammengefaßt.

England, das Japan am meisten im Wege steht, büßt bei jeder neuen antibolschewistischen Attacke Einflußpositionen ein. Solange sich Japan auf die Mandschurei und die Innere Mongolei beschränkte, gab es noch Engländer, die auf die Ablenkung der japanischen Kriegsmaschine nach Sibirien hofften. Als aber der japanische Generalstab, ohne seinen Appetit auf Ostsibirien zu verlieren, sich auch den englischen Märkten zuwandte und seine gepanzerte Faust auf Nordchina legte, als er die englische Kontrolle der chinesischen Regierungsfinanzen angriff und Ansprüche auf die Jangtsemündung und Schanghai, ja sogar auf die nächste Nachbarschaft von Hongkong anmeldete und das alles immer noch mit der »roten Invasionsgefahr« erklärte, wurde der britische Löwe unwillig.

Wer alles über Nacht zum Bundesgenossen der »roten Invasionsgefahr« wird? Dafür ein charakteristisches Beispiel: Einem jungen Deutschen, der kürzlich aus Berlin über Sibirien nach Schanghai reiste, wurde von den Japanern ein soeben in Berlin erschienenes Buch als bolschewistisch konfisziert. Es war eine Biographie Tschiang Kai-scheks, in der seine herzlichen Beziehungen zu deutschen Militärs rühmend hervorgehoben werden. Als der Deutsche gegen die Konfiskation Beschwerde erhob, sagte ihm die japanische Grenzkontrolle, daß er sich durch solche Bücher als Feind Mandschukuos verdächtig mache: er möge fortan über Wladiwostok auf einem Sowjetdampfer statt über Mandschukuo nach China reisen. Ungefähr zur selben Zeit veröffentlichte Schanghais führende englische Zeitung, die »North China Daily News«, eine Festnummer, die Tschiang Kai-schek und seiner Regierung gewidmet war; ein großes Bild Tschiangs prangte auf der Titelseite, dazu die Unterschrift: »China’s brilliant soldier-statesman and br
ightest hope for he future.« Wer jetzt den Engländern im Fernen Osten als Hoffnung für die Zukunft gilt, wird in Tokio nicht als englischer sondern als bolschewistischer Bundesgenosse dargestellt. Denn die bolschewistische Invasionsgefahr umlodert die Welt, und es ist Japans wie Deutschlands Mission, England und China in Asien und Frankreich und die Tschechoslowakei in Europa mit Gewalt vor der bolschewistischen Invasion zu retten!

Der japanische Botschafter Kawagoe und Tschiang Kai-schek verhandeln über Japans drohend vorgetragene Forderung: gemeinsame Verteidigung Chinas gegen die rote Invasion. Der wirkliche Inhalt dieser absichtlich verworren und allgemein abgefaßten Forderung? Japan hat die Nankingregierung nicht um Erlaubnis gebeten, als es die Mandschurei und Nordchina zum Aufmarschgebiet gegen die Sowjetunion machte. Was Japan jetzt von Nanking fordert, gilt mithin nur für den faktischen Machtbereich der Nankingregierung, für Mittel- und Südchina. Im Gebiet von Nanking, Schanghai, Hankau, Kanton und Hongkong, also im Bereich der englischen Vormachtstellung, soll die Nankingregierung den Grundsatz der gemeinsamen sino-japanischen Verteidigung gegenüber der »roten Invasion eines dritten Landes« anerkennen. Nach der Erklärung »in detail«, die der japanische Botschafter folgen ließ, handelt es sich nicht um ein Zusammengehen zwischen Tokio und Nanking im Falle kommunistischer Unruhen oder um ein zeitweises Zusammengehen
 beider Regierungen im Falle einer konkreten »roten Invasion«. Japan will vielmehr ein ständiges Militärbündnis, einen »Antikommunistenpakt«, der der japanischen Flotte die Befestigung der chinesischen Küste und der japanischen Luftflotte die Errichtung von Aerodromen und Luftlinien innerhalb Chinas gestattet – alles zum Schutz gegen die drohende »rote Invasion«. Die hiesige englische Presse ist nicht entzückt darüber, daß Japan zur »Verteidigung gegen die rote Invasion eines dritten Landes« seine Flottenstützpunkte und Aerodrome an Hongkong und Singapore heranbringen will.

Würde der Nankingregierung die Befestigung ihrer Küste durch Japan aufgezwungen, so wäre das die schwerste Bedrohung der englischen Positionen nicht nur in Zentral- und Südchina sondern auch im südöstlichen Pazifik. Chinas riesenhafter Raum als Freibeute der japanischen Luftflotte (während selbst kommerziellen Luftlinien anderer Mächte – z.B. der französischen im benachbarten Indochina, der englischen in Singapore-Hongkong und der transpazifischen San Francisco–Manila – das Überfliegen chinesischer Gebiete auf japanischen Druck nicht gestattet wird), das würde die uneingeschränkte Vorherrschaft Japans im östlichen Pazifik bedeuten, das wäre der Anfang vom Ende der englischen Vorherrschaft in Ostasien, und die Tage der englischen Macht über Hongkong, Malakka und sogar Australien wären gezählt!

Dieser pfiffige »Antikommunistenpakt«, der im Namen der »roten Invasionsgefahr« den Sprung der japanischen Seeflotte auf die Zone Schanghai-Hongkong-Singapore vorbereitet, ist ein Witz, eine Verhöhnung Englands, in einer Form, wie sie sich Ribbentrop in Europa heute noch nicht leisten kann. Ende dieses Jahres läuft der von Tokio gekündigte Flottenvertrag ab, der Japan Befestigungen der chinesischen Küste und der japanischen Inseln in der Nähe der chinesischen Gewässer verwehrte. Die englische Regierung hat kürzlich Japan und den USA vorgeschlagen, diese Klausel durch den Abschluß einer besonderen Vereinbarung zu verlängern. Die japanische Forderung des »Antikommunistenpaktes« ist die Antwort darauf!

//Anmerkung: Die Schreibweise wurde weitestgehend wie im Original beibehalten. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert. Die Umschrift der chinesischen Orts- und Personennamen wurde der damals in deutschen Zeitungen üblichen (inkonsquenten) Schreibung angepaßt und dann durchgänging vereinheitlicht. (Eine Tabelle mit den Orts- und Personennamen in Pinyin und weiteren gebräuchlichen Umschriften am Ende der Artikelserie.)//

### Anmerkung von Dr. Wolfram Adolphi zum Nachdruck in »Das Blättchen«, Berlin, Nr. 24/2006 vom 27. November 2006, S. 10–13

Hinter dem Pseudonym **Asiaticus** verbarg sich der am 13. Juni 1897 in Tarnów (Galizien, Österreich-Ungarn) geborene, wahrscheinlich 1918 nach Deutschland gekommene Kommunist Mojzes Grzyb (Hans Möller, Hans Shippe), der 1925 nach China ging, dort politisch und journalistisch tätig war und u.a. auch für »Die Weltbühne« und dann »Die neue Weltbühne« schrieb. Grzyb-Asiaticus, der in China Xi Bo genannt wurde und in der Schanghaier englischsprachigen Zeitschrift »Free China Weekly« als Hans Shippe bekannt war, fiel nach chinesischen Angaben bei einem Gefecht chinesischer Partisanen mit japanischen Truppen am 30. November 1941. – Der hier nachgedruckte Aufsatz entstand im November 1936. Einen Tag vor seinem Erscheinen in der »Neuen Weltbühne«, am 25. November 1936, wurde in Berlin mit dem »Antikominternpakt« die Achse Berlin-Tokio geschmiedet – ein Schritt, der sich schon bald als entscheidend für die Vorbereitung der Aggressionen Deutschlands und Japans im Zweiten Weltkrieg erweisen sollt
e.

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