Voltaire: Kandide oder der Optimismus 8. Achtes Kapitel. Barones Kunegunden’s Geschichte. Ich schlief noch ganz wohlbehäglich, als es dem Himmel gefiel, Bulgaren in unser schönes Schlos Donnerstrunkshausen zu senden. Mein Vater und Bruder mussten über die Klinge springen, meine Mutter hieben sie in Krautstükken. Bei diesem gräslichen Auftritt verlor ich alle Besinnung. Dies nuzte ein langer Bulgar von sechs Schuh, machte sich über mich her, und begann mich zu schänden. Hierdurch erwacht’ ich von meiner Ohnmacht, bekam all’ meine Sinne wieder, kreischte laut, zerrang und zerarbeitete mich, um loszukommen, bis um mich, krazte, wollte dem grossen Tölpel die Augen ausreissen. Hätt’ ich gewusst, daß das alles Kriegsgebrauch wäre, ich hätte mich anders dabei genommen. Die Kriegsgurgel gab mir mit seinem Degen einen Stich in die linke Seite, wovon ich noch die Narbe habe. Die ich doch wohl werde zu sehn bekommen? fragte Kandide ganz in seines Herzens Unschuld. Warum das nicht! sagte Kunegunde, allein jezt lassen Sie mich nur weiter erzälen. „Das thun Sie, Gnädige Barones, das thun Sie!“ Sie knüpfte den Faden ihrer Geschichte folgendermaassen wieder an: Ein Bulgarischer Hauptmann trat in mein Schlafgemach, sahe wie mein Blut herabtrof; der Soldat blieb, wo er Posten gefasst hatte. Der Hauptmann ward wild, daß dies Vieh so wenig Subordination bezeigte, und stach ihn auf meinem Leibe todt, lies mich hierauf verbinden und führte mich als Kriegsgefangene in sein Quartier. Ich wusch ihm sein Paar Hemden und bestellte seine Küche. Er fand — mus ich gestehen — daß ich ein gar niedlich Ding sei, und er war — ich kann’s gar nicht in Abrede sein — eine sehr wohlgebaute Mannsperson, hatte eine weiche, weisse Haut, aber herzlich wenig Kopf und noch weniger Philosophie: man merkt’ es ihm gleich an, daß er kein Schüler des grossen Panglos gewesen war. Binnen einem Vierteljahr war all’ sein Geldchen fort und er meiner überdrüssig. Er verkaufte mich an den Don Isaschar, einen Juden, der nach Holland und Portugall handelte, und ein ungemeiner Liebhaber von Frauenzimmern war. Wie der Mann an mir hing, wie er mit Bitten und Gewalt in mich drang, und doch konnt’ er nicht siegen. Ich that ihm tapfrern Widerstand als dem Bulgarischen Soldaten. Ein rechtschaffenes Mädchen kann wohl einmal geschändet werden, aber dadurch wird sie um so mehr Lukrezia. Um mich zahmer zu machen, führte mich der Jude auf dies Landhaus hier. Ich hatte bisher geglaubt, es gäbe kein schönres Schlos, als das unsrige; nunmehr wurd’ ich eines Bessern belehrt. Eines Tages ward mich der Grosinquisitor in der Messe gewahr, er warf während des hohen Amts die lüsternsten, buhlendsten Blikke auf mich, und lies mir melden, er hätte mir etwas unter vier Augen zu sagen. Ich ward in seinen Pallast gebracht, entdekte ihm meine Herkunft; er stellte mir vor, wie weit es unter meinem Range wäre, einem Schuft von Juden zuzugehören, und lies dem Don Isaschar den Vorschlag thun, mich Ihre Hochwürden Gnaden abzutreten. Dazu wollte sich Don Isaschar nicht verstehn; der Mann ist Hofwechsler, und gilt viel. Der Inquisitor drohte ihm mit einem Autodafé. Das wirkte; jagte meinen Juden in’s Horn. Husch! schlos er einen Vergleich mit dem Pfaffen; vermöge dessen gehör’ ich und Haus ihnen gemeinschaftlich; der Mondtag, Mittewoch und Schabbas gehören dem Juden, die übrigen Tage in der Woche gehören dem Inquisitor. Es ist nunmehr ein halbes Jahr, daß dieser Kontrakt aufgesezt ist. Unter der Zeit hat es manch Gekrette gegeben; denn sie konnten sehr oft nicht einig werden, ob die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag nach dem alten oder neuen Testamente müsse berechnet werden. Noch hab’ ich keinen von beiden erhört, und eben deshalb glaub’ ich, werd’ ich noch von beiden geliebt. Endlich liessen der Hochwürdige Herr Inquisitor ein Autodafé anstellen, sowohl, um dem Erdbeben zu steuern, als auch, um dem Juden einen kleinen Schrek in die Glieder zu jagen. Er war so galant, mich zu dieser Feierlichkeit einzuladen, und mir einen sehr guten Plaz anzuweisen. In der Zeit, da die Messe war und da der Büttel sein Amt verwaltete, wurden den Damen Erfrischungen vorgesezt. Wie kalt fuhr mir’s über den Nakken, als ich die beiden Juden und den ehrlichen Biskajer verbrennen sahe, der seine Gevatterin geheuratet hatte. Das war aber nichts gegen den Schauer und Schrek, der mich ergrif, als ich unter einem Sanbenito und Schandmüze eine Figur gewahr ward, die dem Panglos so ähnlich sahe. Ich rieb mir die Augen, sahe stier und starr nach dem Manne hin; es war und blieb Panglos. Ich sah’ ihn aufhängen und fiel in Ohnmacht. Kaum hatten sich meine Sinne wieder ein wenig gesammlet, so erblikt’ ich Sie, Kandide, ganz splitterfadennakt da stehn. Nun war der Kelch meiner Leiden voll; ich war nunmehr ganz ein Raub des Entsetzens und der Verzweiflung. Im Vorbeigehn gesagt, Kandide, und zur Steuer der Wahrheit, Ihre Haut ist viel weisser, als meines Bulgarischen Hauptmanns seine, hat ein weit höhers, feiners Rot. O! wie bei diesem Anblik mein Jammer und meine Verzweiflung stieg, die in meinem Innern auf’s grausamste wüteten! Ich schrie, wollte sagen: Haltet ein, ihr Barbaren! Das vermochte aber meine Zunge nicht; und was hätt’ es auch geholfen? Nachdem Sie waren tüchtig gestäupt worden, sagt’ ich bei mir selbst: Wie mus der liebenswürdige Kandide und der weise Panglos nach Lissabon gekommen sein, jener um hundert Rutenstreiche zu empfangen, dieser um aufgehängt zu werden auf Befehl des Hochwürdigsten Inquisitors, dessen Liebling ich bin? Wie grausam hat mich Panglos hintergangen, daß er mir vordemonstrirte, diese Welt sei die beste! Ich taumelte halb ohnmächtig nach Hause. In dem Aufruhr, worin meine Sinne waren, stiegen mir alle meine bisher erlebten Begebenheiten zu Kopfe; schob mir meine Phantasie mit hellen Farben gemalt die Würgescene vors Auge, die sich auf dem Schlos zugetragen. Ich sahe deutlich, wie man meinen Vater schlachtete, und meine Mutter, und meinen Bruder, sahe, wie der garstge Bulgarische Soldat so frech über mich herfiel und mich mit dem Säbel verwundete, wie ich Magd ward, aschenbrödeln musste; sahe meinen Bulgarischen Hauptmann, meinen häslichen Don Isaschar, meinen abscheulichen Inquisitor, und den guten Panglos, wie er aufgehängt wurde. Noch immer gellte mir die widrige Musik in mein Ohr, während welcher Sie den Staupbesen bekamen, noch immer brannte der Kus auf meinen Lippen, den Sie am Tage unsrer Trennung mir hinter der Spanischen Wand gaben. Alles das umschwebte mich auf’s lebhafteste. Ich pries nun Gott, der Sie nach so vielen Prüfungen mir wieder geschenkt hatte. Ich hatte meiner Alten gleich während der Feierlichkeit anbefolen, Ihrer auf’s beste zu warten, Sie zu pflegen und bei schiklicher Gelegenheit herzubringen. Sie hat ihren Auftrag redlich erfüllt, und mich jezt in ein Meer von Wonne versenkt. Ich habe Dich nun wieder, lieber Herzensjunge, höre Dich, spreche Dich, size neben Dir. Doch Dich mus hungern, armer Schelm, gewaltig hungern! Komm, las uns essen. Es ist schon spät, und an Appetit fehlt mir’s gar nicht. Sie sezen sich zu Tische, und nach dem Abendbrod lagerten sie sich auf das dikbesagte schöne Sopha. Noch lagen sie da in grösster Behaglichkeit, als Signor Don Isaschar, einer von den Eignern des Hauses und des Mädchens, hereintrat, so wohl um seine Gerechtsame nicht verjähren zu lassen, als auch, um bei Kunegunden den zärtlichen Amoroso zu machen. 9. Neuntes Kapitel. // Was sich mit Kunegunden, Kandiden, dem Grosinquisitor und einem Juden zuträgt.