Das goldene Zeitalter.


Ein Frühling, der nie verging, blühte und duftete über Asgard, und die
Götter gingen einher mit seliglachenden Augen. Die wilden Naturkräfte
waren gebändigt, in ihre Schranken verwiesen und dem Wechsel der
Jahreszeiten dienstbar gemacht. Jenseits des breiten Meergürtels, den
die Asen um Midgard gelegt hatten, hausten die Riesen. Auf der Erde
wuchs zahlreich und kräftig das Menschengeschlecht empor und brachte an
heiligen Stätten den Göttern geweihte Opfer dar. Tief im Erdinnern aber
schafften die Zwerge, klopften die köstlichen Erze aus dem Gestein und
schmiedeten wunderbares Geschmeide, mit dem sich die Götter schmückten.

Das schwerste Tagewerk, die Erschaffung und Ordnung der Welt, war
geschehen. Es war die Zeit, in der die Götter an sich selber denken
durften und an frohe Feiertage.

Geschwisterlich vereint, einer dem anderen in Liebe zugetan, durchzogen
sie die Blumenwiesen Asgards und bauten sich himmlische Burgen auf mit
ragenden Hallen und zahllosen Fenstern zum Ausblick auf das Riesenland
und die Menschenerde. Viele Namen gaben die Menschen den Göttern je
nach der Sprache, in der sie sie verehrten, und die Nordmänner riefen
den allweisen Wodan _Odin_.

Gladsheim hieß Wodans goldglänzende Burg in Asgard, die »Welt der
Wonnen«, und der mächtigste Saal darin war _Walhall_. Ebenbürtig war
ihm in Gladsheim nur ein zweiter, _Wingolf_, die heitere Halle der
Göttinnen. Mit Frigg, seiner hohen Gemahlin, zeugte Wotan herrliche
Asensöhne. Der herrlichste und beste unter ihnen war _Baldur_, der
Lichte, den alle Götter mehr liebten als sich selbst, weil er das
Vollkommenste war an Leib und an Seele, was Asgard hervorgebracht hatte
und durch seine frühlingsfrohe Erscheinung, die kraftvolle Schönheit
seines Wuchses und die Reinheit seines Gemütes Freude hervorrief,
wo immer er ging. Breidablick hieß sein glänzender Saal, blank wie
die Sonne, und nichts Unreines durfte über die Schwelle. Vorbildlich
in allen Tugenden des Himmels und der Erde, hell und klar wie der
sonnige Tag stand Baldur vor Göttern und Menschen, und sein Sohn,
_Forsetti_, den ihm sein glückliches Gemahl _Nanna_ geschenkt hatte,
saß im Himmelssaale Glitnir als Gott der Gerechtigkeit und übte die
richterliche Obergewalt. _Hermodur_ aber, der schnelle Götterbote, war
Baldurs Bruder und hing ihm zärtlich an.

Neben seinem Vater Wodan ragte über alle Asen _Donar_ hinaus, den die
Nordmänner _Thor_ riefen. Nichts kam seiner Körperkraft und seinem
heldischen Mute gleich. Er liebte die Menschen und ihr fruchtbares
Ackerland, bekriegte die Unholde und Riesen, die die Erde bedrohten,
und brauste mit seinem Bockgespann durch die Wetterwolken, daß sie der
dürstenden Erde die heilbringenden Gewitterregen spenden mußten und
die erfrischende Luft. Tanngniost, der Zahnknisterer, und Tanngrisnir,
der Zahnknirscher, hießen die Böcke vor seinem Wetterwagen. Seine
Halle aber hieß Bilskirnir, der Blitz. Selten war er daheim, der
Vielbeschäftigte, und die Menschen, wo immer sie den nährenden Boden
bestellten, liebten ihn in ihren Herzen und Hirnen über alle die
anderen Asen und hingen ihm an in Not und Gefahr, denn sie fühlten
sich ihm nahe, weil _Jord_ seine Mutter gewesen war, die Erdgöttin.
Darum liebte auch er den Bauernstand. Seine Gemahlin war _Sif_, die so
schönhaarig war wie goldenwogendes Getreidefeld. Seine Tochter _Thrud_
wuchs auf in des Vaters gütiger Art, während seine Söhne, _Modi_, der
Zorn, und _Magni_, die Kraft, des Vaters Kämpferblut ererbt hatten.
Bedurften die Götter des stärksten aller Asen Hilfe, so riefen sie
nur seinen Namen, und wie der Blitz stand Asathor unter ihnen. Das
Volk der Menschen aber opferte dem Stärksten der Starken unter den
ragendsten Eichen.

Donar-Thor am nächsten an Heldenhaftigkeit und Sorge um Menschenvolk
und Menschenerde stand Tuisko, _Ziu_ genannt und von den Nordmännern
_Tyr_. Als Gott über den strahlenden Himmel gesetzt, beschenkte er
die Erde mit Wärme und Licht, bevor die Nacht kam, und steigerte ihre
Fruchtbarkeit. Feind war er darum allen zerstörenden Kräften und
hob das Schwert gegen die gierigen Kriegerscharen, die sengend und
mordend ins Land fielen. Als Schwertgott feierte ihn deshalb das Volk,
ritzte seine Runen in die Klingen und huldigte ihm in Schwertertänzen,
wenn es galt, die Jünglinge mutig und mannhaft zu machen; in
Menschenopfern, wenn es unter stürmischer Anrufung seines Namens die
Schlachtreihen des Feindes durchbrochen und niedergestreckt hatte. In
heiligen Hainen verehrte ihn das dankbare Volk, und es bezeugte dem
strahlenden Himmelssieger die Ehrfurcht des Menschenkindes, daß es
seinen Tempelhain nur in freiwillig gewählten Fesseln und tief zur Erde
gebeugt betrat. Weiße Rosse waren dem Schwertgott heilig, die mit den
Hufen salzige Quellen geöffnet hatten zur Kräftigung der kriegswunden
Glieder, und das Wiehern der Rosse galt als Weissagung.

Wie der frühlingsfrohe Baldur als Gott des Tages, so herrschte der
blinde _Hödur_ als Gott der Nacht. Einsam war er und schweigsam.
Nur wenn das Licht sich neigte, trat er in die Dämmerung, um in das
Dunkel zu wandern. Und da er blind geboren war, wußte er wenig von dem
fröhlichen Tun der Götter, die ihn still seine Wege gehen ließen.

Auch _Hönir_ wohnte in Asgard, der Fahrtgenosse Wodans, der dem ersten
Menschenpaare in Midgard die Seele geschenkt hatte und die Bewegung der
Glieder. Er machte wenig Worte und war ein Mann des Friedens und der
Ruhe.

Königlich anzusehen war _Uller_, der über den Winter gesetzt war und
auf gewaltigen Schneeschuhen über Schnee und Eis dahinstob, mit Pfeil
und Bogen das Wild zu jagen. Ihm jubelten die Jäger zu.

Am königlichsten neben Wodan-Odin erschien _Loki_, der Gott des Feuers
und der Hitze. Von verführerischer Anmut und blendender Geistesschärfe,
berufen, neben Allvater zu stehen, fehlte ihm Wodans Willenskraft und
Baldurs sittliche Größe, so daß er oft und gern seine hohen Gaben
verwandte, um durch übermütiges Trugwerk und geistreiche Listen das
Gelächter der Götter zu erregen und sich im billig erworbenen Ruhm zu
sonnen. Da es seiner Herrschsucht und Eitelkeit nicht gelungen war, der
Erste der Götter zu werden, so wünschte er ihnen seine überlegene List
und Klugheit ständig zu bezeigen, und was zuerst ein leichtfertig Spiel
erschien und lustiges Gelächter erregte, konnte leicht zu unheilvollem
Ernst werden, wenn die Götter ihm nicht die Grenzen seines Tuns
umschrieben. Als Wodans Fahrtgenosse bei der Erschaffung der Menschen
hatte er dem ersten Menschenpaare einen Tropfen seines Blutes vererbt:
die ungezügelte Leidenschaft. Die Menschen aber fürchteten sich vor
dem unbeständigen, bald schmeichlerischen, bald jähzornigen Gott und
hielten sich in ihren Anrufungen vor seinem Namen zurück.

Asgards Wächter, der treue _Heimdall_, saß als Markgraf in seiner Halle
an der Brücke _Bilfrost_, die sich wie ein Regenbogen vom Himmel zur
Erde spannte. Der Scharfäugigste war er und der Hellhörigste. Hunderte
von Tagereisen weit sah sein Auge durch Tag und Dunkel, und sein Ohr
hörte das Gras auf der Erde, die Blätter an den Bäumen, ja die Wolle
auf den Schafen wachsen. Er war der Früheste, denn er schlief nicht
ein, weil er aus der Dämmerung des Abends schon die Dämmerung des
Morgens ersah. Keinen besseren Mann konnten die Götter an die einzige
Brücke stellen, die gen Asgard führte. --

Ein Frühling, der unvergänglich schien, blühte und duftete über
Asgard, und die Götter gingen einher mit seliglachenden Augen.
Geschwisterlich vereint, einer dem andern in Liebe zugetan, durchzogen
sie die Blumenwiesen, trieben ritterliches Spiel, huldigten Frigg,
der erhabenen Himmelsmutter, und den jüngeren Göttinnen ihres Hofes,
_Saga_, der weisen, mit der Allvater den Trunk des Wissens aus goldenen
Schalen schöpfte, _Fulla_, der listigen Vertrauten der Himmelsmutter,
_Menglod_, der flammenden Morgenröte, _Idun_, der jugendschönen, der
ewig jungen, die die Zauberäpfel bewahrt, von denen die Götter essen,
um nimmer zu altern, _Gefjon_, der klugen, zu der die Mädchen beteten.
Manche gleich schöne, gleich kluge Götterjungfrau lächelte aus Friggs
Gefolge den Götterhelden zu, wenn sie auf blitzschnellen Rossen über
die Wiesen jagten, den Speer schossen oder die heißen Schwerter über
Schild und Brünnen fegen ließen. Oder wenn sie auf den Bänken der
Halle saßen, Lieder zur Harfe sangen und den Met sich zutranken, den
die Holden ihnen in den kostbaren Trinkgefäßen reichten, gefertigt
aus blinkendem Gold von dem reichen Volk der Zwerge. Dann legten
die Götter den frohen Frauen funkelnden Schmuck um Hals und Nacken,
Edelgestein, das die Zwerge erschürft hatten, glitzernde Halsbänder und
schimmernde Kronreifen, die Flut der Locken zu fassen, und schlangen
die Arme um die schlanken Hüften und wußten nur von Liebe und nichts
von Leid, weil sie einig waren und einer des anderen sicher im selben
Sippschaftsgefühl. Und weil sie schuldlos waren und gerecht.

So lebten die Götter ihr goldenes Zeitalter, und der ewige Frühling
blühte und duftete über Asgard und sandte seine Sonne in alle Welten. --

Heiteren Auges saß Wodan auf dem Hochsitz über der heiligen Türschwelle
seines Saales, die den Ausblick bot nach Midgard, dem Land der
Menschen, und nach Utgard, dem Land der Riesen und Trolle. Seine
Jagdwölfe lagen ihm zu Füßen, und seine Weisheitsraben flogen von
seiner Schulter her und hin und kehrten geruhsamen Fluges zurück.
Denn nichts Böses gab es zu melden. Das Volk der Menschen gedieh in
den drei Ständen, in die der treue Hüter Heimdall Bauern, Bürger
und Krieger gegliedert hatte, zu Wohlstand, Glück und Ehre, und das
Riesengeschlecht lag schlemmend und zechend in den Grenzen, die ihm
gezogen waren, sang und brüllte beim Gelage, daß oft Meer und Erde
erbebte, und schielte nur zuweilen wie in erwachender Erinnerung
nach den Göttern in Asgard. Die _Thursen_, das ist die Starken,
nannten sie sich, die Asen aber nannten sie um ihrer Gefräßigkeit
willen die _Joten_, das ist die Fresser, und ihr Reich _Jotunheim_,
das Vielfraßland. Oft waren die Thursen von ebenso plumpem Wesen
wie Gliedern, und es bedurfte nur eines neckenden Wortes, daß sie
wie Schlagetote mit losgebrochenen Felsen und entwurzelten Bäumen
aufeinander loshieben. Wo aber etlichen unter ihnen Weisheit geschenkt
war, traten sie auf als Beherrscher der Elemente und lenkten Meerflut,
Sturm und Feuersbrunst. Als gewaltige Baumeister suchten sie
ihresgleichen, denn ein kleines war es für sie, Felsen auf Felsen zu
türmen und Burgen zu erbauen, die bis zum Himmel ragten. Oft waren ihre
Weiber scheußlich und verzerrt wie Strudel und Gischt, oft aber auch
über die Maßen schön wie lächelnd atmende Meeresstille.

Denn mächtige Wasserriesen gab es und furchtbare Sturmriesen, Berg-
und Waldriesen von ungeheuerlicher Stärke und hitzige Feuerriesen.
Ihre Jahreszeit hob an, wenn der Sommer geschwunden war. Der heulende
Herbst, der krachende Winter blieb ihre Freude, bis die frühlingsfrohen
Götter ihrem Gelärm Einhalt geboten.

Der gutmütigste unter ihnen war _Ägir_, der Herrscher der weiten, der
offenen Meere. Wenn die Götter ausfuhren in die Welt, kehrten sie
oft in seiner Meereshalle ein und taten gewaltige Züge Metes bei dem
fröhlichen Alten. Bösartiger Natur war _Ran_, sein Weib, die Räuberin.
Auf dem Grunde des Meeres kauerte sie und stellte grausam ihre Netze
nach den Schiffern, die über sie dahinfuhren. Neun Töchter zeugte das
Paar, die wie spielende Wellen verführerisch lockten und die in Liebe
entbrannten Söhne der Männererde in ihre Umarmung zogen und auf den
Meeresgrund, in den Todessaal ihrer Mutter Ran.

Über das Eismeer herrschte _Hymir_, der Frostriese, vor dessen eisigem
Blick Felsen zerbarsten wie Glas. Den größten Braukessel besaß er, tief
wie das Meer, aber er hielt ihn unter Schloß und Riegel als unwirscher
Gesell.

Scheusälig aber war _Grendel_ anzuschauen, der Nebelriese der
Sturmflut, mit drachenförmigem Haupt und Krallen wie Stahl, gezeugt
von einer wölfischen Mutter, die bei ihm hauste und ihm auf seinen
Unholdfahrten gierig folgte. Unheimliche Schlupfwinkel wählten sie zu
Wohnstätten, im fiebrigen Moor, in feurigen Gewässern. Und Mensch und
Tier erschauerte vor diesem fiebrigen Feueratem.

Jetzt aber gaben die Riesen Ruhe, denn der allweise Wodan hielt sie im
Bann seiner Gerechtigkeit. Nicht umsonst hatte er Yggdrasil geschaffen,
die Weltesche, die ihre Wurzeln unter Midgard, Utgard und Niflheim
senkte und ihm Wissen gab aus allen Welten. Wenn die Götter aus Asgard
hinabstiegen, um über das Menschenvolk zu richten, so stiegen sie zu
dem Brunnen der Nornen, aus dem eine Wurzel der Weltesche trank, zu
den Schicksalsmädchen Urd, Skuld und Werdandi, die die Geschicke jedes
Menschen wußten von seiner Geburtsstunde an bis zur Todesstunde. Oft
aber stieg Wodan ungeleitet zum Brunnen Mimirs, des Weisesten der
Weisen aus Ymirs Geschlecht, das Welt und Urzeit sah, bevor die Götter
waren. Und er bot ihm göttliche Freundschaft, wenn er ihm alles sagte
aus der tiefsten Tiefe.

»Wie soll ich deiner Freundschaft trauen?« sprach Mimir. »Du bist ein
Ase und ich ein Thurse.«

»Wähl dir ein Pfand,« sprach Wotan.

»Was hältst du am höchsten an dir?« fragte Mimir.

»Meine allsehenden Augen.«

»So gib mir das eine zum Pfand.«

Da gab der Gott das Auge zum Pfand und gewann Mimir zum Freunde. Und
Mimir schöpfte mit Wodans Auge die Tropfen aus der tiefsten Tiefe, und
sie saßen beieinander und raunten miteinander manche Nacht.

Einäugig kehrte Wodan gen Asgard zurück. Aus Liebe zu seiner Schöpfung,
aus Liebe zu den Göttern und Menschen hatte er sein Auge dargebracht.
Denn nun war der Allweise allwissend geworden.

[Illustration: »... und trank mit ihr aus einer Schale ...«]

Oft wandelte er in Asgard zum Wohnsitz der Saga, der ernstgerichteten
Göttin, und trank mit ihr aus einer Schale und besprach mit ihr
feierliche Dinge, die wie Gesang waren aus tiefen Brunnen. Und die Saga
ritzte sie in heilige Zauberrunen, während die Götter und Göttinnen
draußen über die blumigen Wiesen jagten und sich in Liebe fanden,
an festlichen Tafeln saßen und sich mit Kränzen schmückten und dem
funkelnden Goldgeschmeide.

Kinderselig hallte das Lachen über Asgards Wiesen, durch Asgards Hallen.

Wodans Ohr hörte es wohl. Sein Auge blickte sinnend.

Über Sagas Haar strich er und erhob sich.

»Sie sollen fröhlich sein. Lange, lange ... Denn so lange die Götter
schuldlos sind, sind sie unsterblich.«