Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten

 60. Weltfrieden

Saltner hatte sich aus Rücksicht auf Las Eigenschaft als Martierin
an der kriegerischen Erhebung gegen die Martier nicht beteiligt. La
bedauerte innig die Trübung der Beziehungen zwischen den Planeten,
doch stand sie nicht bloß als Gattin ihres Mannes, sondern auch mit
ihrem Gerechtigkeitsgefühl auf der Seite der Menschen, die für ihre
Unabhängigkeit kämpften. Sie hörte nicht auf zu glauben, daß die
Vernunft auf dem Mars siegen und zu einem heilsamen Frieden führen werde.

Sobald die Herrschaft der Martier über Europa aufgehört hatte, begab
sich Saltner mit La und den übrigen Angehörigen des Luftschiffs in seine
Heimat zurück. Er gab damit vor allem dem Wunsch seiner Mutter nach,
die von tiefer Sehnsucht nach ihren heimatlichen Bergen befallen war. In
der Nähe von Bozen, hoch über dem Tal, erwarb La eine schloßartige
Villa, um den Herbst und Winter in diesem geschützten südlichen Klima
und doch in Höhenluft zuzubringen.

Der Verkehr durch Lichtdepeschen und die Friedensverhandlungen mit
dem Mars gestalteten sich nicht so einfach, wie man gehofft hatte. Die
Beamten, welche den Lichtverkehr zu vermitteln hatten, waren wenig geübt,
und als im Herbst die telegraphische Station auf die Außenstation
am Südpol verlegt werden mußte, gelang es nur mit Schwierigkeit, den
Apparat hier überhaupt zur Funktion zu bringen. Eine Zeitlang fürchtete
man, damit gar nicht zu Rande zu kommen, und als dies endlich geglückt
war, kamen nicht selten Mißverständnisse im Depeschenwechsel vor, der
infolgedessen von den Martiern auf das Dringendste eingeschränkt wurde.

Und doch hätte man gerade jetzt auf der Erde, mehr als je, gern Näheres
über die Vorgänge auf dem Mars erfahren. Denn die letzten Nachrichten
waren beunruhigender Natur gewesen, und als über ein Vierteljahr
vergangen war, ohne daß die entscheidende Friedensnachricht vom Mars
eintraf, begannen beängstigende Gerüchte über die Absichten der
Martier sich auf der Erde zu verbreiten. Es waren wiederholt in der
Nähe der Station Raumschiffe beobachtet worden, die sich allerdings in
gehöriger Entfernung hielten, aber, wie man fürchtete, die Vorboten
irgendeiner feindlichen Unternehmung sein konnten.

In der Tat stand das Schicksal der Erde vor einer furchtbaren
Entscheidung.

Die Niederlage der Martier, der Verlust der Herrschaft über die
Erde, hatte der Antibaten-Partei zunächst einen schweren Schlag
versetzt. Die Vertreter einer menschenfreundlichen Politik wiesen
darauf hin, wie allein das scharfe und ungerechte Vorgehen gegen die
Bewohner der Erde die Schuld trage, daß der Nume nun vor dem Menschen
sich demütigen müsse. Es sei dies aber eine gerechte Strafe für
die Fehler der Antibaten, die sich somit als unfähig zur Führung
der Regierungsgeschäfte erwiesen hätten. Die Idee der Numenheit, die
Gerechtigkeit gegen alle Vernunftwesen verlange als die allein würdige
Sühne die Bestätigung der Freiheit, welche die Menschen sich erkämpft
hätten. Es gäbe überdies kein Mittel, die Menschen, seitdem sie
sich im Besitz der Waffen der Martier befänden, auf eine andre Weise
zu bezwingen, als durch eine vollständige Verheerung ihres Wohnorts;
eine solche Barbarei aber könne den Numen nie in den Sinn kommen. Sie
seien der Erde genaht, um ihr Frieden, Kultur und Gedeihen zu bringen,
nicht um einen blühenden Planeten zu vernichten, nur damit sie seine
Oberfläche zur Sammlung der Sonnen-Energie ausbeuten könnten.

Obwohl diese Ansicht wieder die öffentliche Meinung zu beherrschen
begann, war doch die Macht der Antibaten noch keineswegs gebrochen. Es
gab eine große Anzahl Martier, deren wirtschaftliche Interessen durch
den Verlust der von der Erde fließenden Kontributionen geschädigt waren
und deren Vernunft durch den Egoismus der Herrschsucht Einbuße erlitten
hatte. Sie stellten sich auf den Standpunkt, daß die menschliche Rasse
überhaupt nicht kulturfähig im Sinne der Nume sei und daß es daher
für die Gesamtkultur des Sonnensystems besser sei, die Bewohner der
Erde zu vernichten, damit ihr Planet den wahren Trägern der Kultur als
unerschöpfliche Energiequelle diene. Der Wortführer dieser Ansicht war
Oß, während Ell an der Spitze der Menschenfreunde stand. Man warf ihm
vor, daß ja gerade durch seine Amtsführung als Kultor erwiesen wäre,
wie unfähig die Menschen zur Aneignung der martischen Kultur seien. Habe
er doch selbst sein Amt aufgegeben.

Ell gab zu, daß er sich über die Schnelligkeit getäuscht habe, mit der
seine Reformen zur Wirkung gelangen könnten. Die Nume seien zu zeitig
zur Erde gekommen, die Menschheit sei allerdings noch nicht reif für
die Lebensführung der Martier. Aber sie habe doch gezeigt, daß sie zu
vorgeschritten sei, um als unfrei behandelt zu werden. Und deshalb sei es
nunmehr der richtige Weg, durch einen friedlichen Verkehr mit der Erde die
Vorteile auszunutzen, welche die Erde als Energiequelle biete, zugleich
aber damit der Menschheit das Beispiel einer überlegenen Kultur zu geben,
die ihr ein Vorbild sein könne. Nicht durch Unterjochung, sondern durch
freien Wetteifer müßten die Menschen erst auf die Stufe geführt werden,
die sie für die direkte Aufnahme martischer Kultur fähig mache.

Diese entgegengesetzten Meinungen, die in den Marsstaaten zu heftigen
politischen Kämpfen führten, verzögerten die endgültige Entscheidung
über den Friedensschluß. Beide Parteien suchten den Abschluß immer
wieder hinauszuschieben in der Hoffnung, bei den nächsten Wahlen zum
Zentralrat eine entscheidende Majorität zu bekommen. Man wußte dies auf
der Erde und sah daher dem Ausfall dieser Wahl mit Spannung und Furcht
entgegen. Ell und Oß kandidierten beide für den Zentralrat. Der Sieg
Ells bedeutete den Frieden. Der Sieg von Oß ließ befürchten, daß die
Martier für ihre Niederlage vom 11. Juli furchtbare Rache nehmen würden.
Anfang Dezember mußte die Wahl stattfinden, die Entscheidung fallen. Und
gerade jetzt versagte wieder der Lichttelegraph. Seit vierzehn Tagen hatte
man keine Depesche vom Mars erhalten, vergeblich arbeitete und operierte
man an dem Apparat — die Rechnungen wollten mit den Beobachtungen
nicht stimmen —, und jeden Tag depeschierte man vom Südpol, daß man
bestimmt hoffe, morgen mit der Einstellung fertig zu werden.

Unheimliche Gerüchte über die Absichten der Martier durchschwirrten
die Erde. Eines vor allen nahm immer deutlichere Gestalt an und erfüllte
die Gemüter mit Grausen. Man sagte, daß sich in Papieren der Martier,
die nach der eiligen Entfernung der Beamten aufgefunden worden seien,
ausgearbeitete Projekte befunden hätten zu einer völligen Vernichtung
der Zivilisation der Erde. Der ehemalige Instruktor von Bozen,
Oß, der Kandidat der Antibaten für den Zentralrat, bekannt als ein
hervorragender Ingenieur, sollte der Urheber eines Planes sein, wonach
bei einem dauernden Widerstand der Menschen die Oberfläche der Erde
unbewohnbar gemacht werden konnte. Einzelne Blätter brachten detaillierte
Ausführungen. Es handelte sich um nichts Geringeres als die Absicht, die
tägliche Umdrehung der Erde um ihre Achse aufzuheben. Diese Rotation der
Erde sollte so verlangsamt werden, daß der Tag allmählich immer länger
wurde und endlich mit dem Umlauf der Erde um die Sonne zusammenfiele,
daß also Tag und Jahr gleich würden. Dann würde die Erde in derselben
Lage zur Sonne sein wie der Mond zur Erde, das heißt, sie würde der
Sonne stets dieselbe Seite zukehren. Es gäbe keinen Unterschied mehr
von Tag und Nacht, die eine Seite der Erde hätte ewigen Sonnenschein,
die andere ewige Finsternis — die Sonne bliebe für denselben Ort stets
in demselben Meridian stehen. — Die Folgen einer solchen Veränderung
wären furchtbar gewesen. Der Plan der Martier sollte angeblich dahin
gehen, die Erde in eine solche Stellung zu bringen, daß der Stille Ozean
in ewiger Sonnenglut, die großen Festlandmassen aber, der Hauptsitz der
zivilisierten Staaten, in ununterbrochener Nacht blieben. Dann mußte
allmählich eine Verdampfung des gesamten Meeres stattfinden. Denn die
Wasserdämpfe würden sich auf der immer kälter werdenden Nachtseite
der Erde niederschlagen und diese mit ewigem Schnee und unschmelzbarem
Gletschereis überziehen. Eine Eiszeit, der kein Leben widerstehen
könnte, würde auf die Schattenseite der Erde hereinbrechen, während
die Sonnenseite in Gluten verdorren würde. Wohl nur auf einer schmalen
Grenzzone könnte sich Leben erhalten. Aber wer vermochte zu sagen, welch
andere, verderbliche Umwandlungen bei einer derartigen Änderung des
Gleichgewichts von Luft und Wasser auf der Erde noch eintreten mochten?

Wohl versuchte man diesen Plan als ein törichtes Hirngespinst
hinzustellen, als ein Schreckmittel, das die Martier wohl absichtlich
den Menschen zurückgelassen hätten. Doch konnte man die entschiedenen
Befürchtungen nicht genügend zerstreuen. Das Projekt schien zu gut
fundiert. Oß hatte die Energiemenge ausgerechnet, die zur Hemmung
der Erdrotation erforderlich ist. Sie ist allerdings so groß als die
Strahlungsenergie, die von der Sonne in 600 Jahren zur Erde gelangt, wenn
man nur die gegenwärtig den Menschen auf der Erdoberfläche zugängliche
Energie in Anschlag bringt. Viel größer aber ist die Energiestrahlung
unter Berücksichtigung aller Strahlengattungen. Und wenn die Martier
den von ihnen aufgespeicherten Energieschatz aufbrauchten, so waren sie
sicher, ihn wieder ersetzen zu können. Oß hatte eine Methode ausgedacht
— er nannte sie die ‚Erdbremse‘ —, wonach die Rotationsenergie der
Erde selbst die Arbeitsquelle sein sollte, um eine Hemmung erzeugen, sie
sollte zur Arbeit benutzt und somit die Erde durch sich selbst gebremst
werden. Zwanzig Jahre genügten seiner Rechnung nach, um die Erdrotation
auf das gewünschte Maß zu verringern.

Mit besonderem Bangen sah man dem 11. Dezember entgegen. An diesem Tag
fand die Opposition von Mars und Erde statt, es trat die Stellung ein,
in der die beiden Planeten sich am nächsten befanden. Bei der Opposition
am Ende des August vor vier Jahren war die Anwesenheit der Martier auf
der Erde entdeckt worden; die Opposition im Oktober vor zwei Jahren
hatte den Sieg der Antibatenpartei gebracht; so bildete man sich ein,
die nächste Opposition im Dezember dieses Jahres müsse wieder durch
irgendein unheilvolles Ereignis sich auszeichnen. Daß sich dieses gerade
an den 11. Dezember, als den Tag der Opposition, knüpfen müsse, war
ja eine Art Aberglaube; daß aber die Zeit der größten Annäherung
der Planeten die günstigste für etwaige Unternehmungen der Martier
gegen die Erde war, ließ sich nicht leugnen. Und so fehlte es nicht an
düsteren Prophezeiungen für diesen Tag.

Das Aufhören des Depeschenverkehrs mit dem Mars vergrößerte nun
die Sorge. Man befürchtete, daß die Antibatenpartei gesiegt habe und
die Unmöglichkeit, den Apparat einzustellen, auf einer absichtlichen
Störung durch die Martier beruhe. Wenn das auch seitens der Union, die im
Besitz der Außenstationen war, nicht zugegeben wurde, so traf man doch
Anstalten, im Fall eines unerwarteten Erscheinens von Raumschiffen der
Martier die Station sperren, ja im Notfall stürzen zu können. Seltsam
war es gewiß, daß auch auf der Station am Nordpol, wohin man trotz
des Polarwinters ein Luftschiff entsandt hatte, die Einstellung des
Phototelegraphen nicht gelingen wollte.

Inzwischen war die Entscheidung auf dem Mars gefallen. Ein aufregender
Streit der Meinungen, wie er seit Jahrtausenden in der politischen
Geschichte des Mars unerhört war, fand endlich seine Schlichtung. Die
Beweggründe, die Ell zuletzt ins Feld führte, hatten einen
durchschlagenden Erfolg. Der Plan von Oß, die Erde zu bremsen, bestand
wirklich, und Ell zeigte, zu welchen unmenschlichen und verwerflichen
Folgen diese wahnwitzige Unternehmung führen müsse, deren Möglichkeit
außerdem durchaus fraglich sei. Und endlich deckte er einen Umstand auf,
der bisher noch immer als Geheimnis behandelt worden war — die Gefahr,
die den Menschen und vielleicht auch den Martiern bei einem dauernden
Aufenthalt auf der Erde drohte, das Wiederaufleben der furchtbaren
Krankheit Gragra. Selbst auf diese hatte Oß in einem geheimen Memorial
hingewiesen als auf ein Mittel, die Menschen zu vernichten. Ell scheute
sich nicht, dieses Aktenstück zu veröffentlichen. Da erhob sich eine
allgemeine Entrüstung in dem überwiegenden Teil der Martier. Schon
die ganze Methode geheimer Pläne und Machinationen, die den Martiern
als ein bedenkliches Zeichen politischen Rückschritts erschien, noch
mehr aber der Verfall der Gesinnung, die Mißachtung des sittlich Guten
und Edlen empörte auch das Gemüt derer, die sich eine Zeitlang durch
Sondervorteile hatten zu Menschenfeinden machen lassen, und erweckten
sie zum Bewußtsein ihrer Würde als Nume. So brachte der Tag der Wahl
ein überraschendes Resultat. Der Registrierapparat der telegraphisch
abgegebenen Stimmen zeigte für Ell über 312 Millionen Stimmen gegen
etwa 40 Millionen für Oß.

Ell war mit einer erdrückenden Mehrheit in den Zentralrat gewählt, mit
ihm noch Ill und drei andere Führer der menschenfreundlichen Partei. Die
antibatische Bewegung war hierdurch endgültig unterdrückt.

Schon am folgenden Tag genehmigte der Zentralrat den Friedensvertrag mit
den verbündeten Erdstaaten in der Fassung, wie er längst sorgfältig
ausgearbeitet von der menschenfreundlichen Partei vorlag.

Aber ein unerwartetes Hindernis zeigte sich. Schon in den letzten
Tagen waren die Depeschen nicht mehr von der Erde erwidert worden. Eine
Störung des Apparats war vorhanden, und die Martier erkannten, daß
sie auf der Unfähigkeit der Menschen beruhte, ihren Phototelegraphen
zur Einstellung zu bringen. Trotz aller Bemühungen war es unmöglich,
die Friedensbotschaft der Erde durch Lichtdepesche mitzuteilen.

Der Zentralrat hatte beschlossen, daß Ell, in Anerkennung seiner
Verdienste um die Erschließung der Erde und der nun erlangten Versöhnung
der Planeten, an der Spitze der Kommission nach der Erde gehen sollte,
die beauftragt war, den Friedensvertrag zwischen beiden Planeten zu
vollziehen. Aber es war im Waffenstillstand bestimmt worden, daß kein
Raumschiff auf der Erde landen sollte, bis nicht telegraphisch die
Annahme des Friedens durch die Marsstaaten mitgeteilt sei. Und das war
nun vorläufig unmöglich.

Ein Raumschiff, das man entsandte, um Aufklärung über die Ursache
der Störungen zu erhalten, und das mit der größten erreichbaren
Geschwindigkeit fuhr, kehrte nach zwölf Tagen unverrichteter Sache
zurück. Es hatte versucht, sich durch Signale mit der Außenstation
am Südpol zu verständigen, war aber nicht verstanden worden. Und als
es Anstalten traf, sich auf die Station hinabzulassen, wurde es durch
Repulsitstrahlen bedroht und an der Landung verhindert, so daß es
wieder umkehren mußte. Doch berichtete es, daß, soviel sich bemerken
ließe, die Station nicht in richtiger Verfassung zu sein scheine und
die Unmöglichkeit des telegraphischen Verkehrs vielleicht an einer
Verschiebung der Außenstation liege.

Hierauf nahm man seine Zuflucht zum Retrospektiv. Dies gestattete, die
Station genau zu beobachten. Und nun stellte sich für die Gelehrten
der Martier unzweideutig heraus, daß der Ring der Außenstation seine
Lage geändert habe. Die Berechnung zeigte, daß binnen kurzem das
Gleichgewicht des ganzen Kraftfeldes überhaupt gestört werden müßte,
wenn nicht bald eine Korrektur eintrat. Die Menschen hatten es nicht
richtig verstanden, die Korrektionen vorzunehmen, die zur Erhaltung
des Feldes und des Ringes notwendig waren. Die Karte der Polargegend,
die auf dem Dach der unteren Stationen sich befand und den Entdeckern
des Nordpols das erste, unlösbare Rätsel über die Einrichtungen der
Martier aufgegeben hatte, diente nämlich dazu, eine Kontrolle für die
feinen Bewegungen der Außenstation infolge von Schwankungen der Erdachse
zu haben. Beide Stationen, im Norden wie im Süden, schwebten nun in
höchster Gefahr. Es mußte, sollte nicht der Verkehr mit der Erde dauernd
in Frage gestellt sein, sofort das Kraftfeld in den richtigen Stand
gesetzt werden, und dies konnte nur durch martische Ingenieure geschehen.

Wie aber sollten die Martier dies rechtzeitig bewirken, da sie jetzt
kein Mittel hatten, die Menschen zu benachrichtigen, und ihre Raumschiffe
der Gefahr ausgesetzt waren, von den Menschen bei der Landung zerstört
zu werden? Und selbst, wenn es gelang, sich vor der Landung mit den
Menschen zu verständigen, so war es noch immer sehr fraglich, ob bei
dem Zustand der Station nicht diese Landung mit unbekannten Gefahren
verbunden sei. Jetzt das Band mit der Erde neu zu knüpfen, indem man
sich einem Raumschiff anvertraute, war ein Unternehmen auf Leben und
Tod. Wer wollte sich daran wagen? Der Wille zum Frieden war auf beiden
Planeten vorhanden, der Beschluß der friedlichen Übereinkunft auf
beiden Seiten gefaßt. Und nun sollte der Weltfrieden daran scheitern,
daß man die Friedensbotschaft nicht verkündigen, die einzige Brücke,
die Außenstation, nicht vor der Vernichtung schützen konnte?

Da erbot sich Ell, das Rettungswerk zu unternehmen. Er wußte, was er
wagte. Aber er wußte auch, daß, wenn irgend jemand, so ihm die Pflicht
erwachsen war, die Verbindung zwischen den Planeten herzustellen. Wieder
stand er so nahe an der Erfüllung seines Lebenszwecks, und noch einmal
sollte seine Hoffnung fehlschlagen? Aber es war auch die einzige Aufgabe,
die er noch zu erfüllen hatte. War der Friede geschlossen, so war alles
getan, was er tun konnte.

Eine freiwillige Gruppe geübter Ingenieure schloß sich ihm an. Das
Regierungsschiff ‚Glo‘ sollte Ell mit seinen Genossen binnen sechs
Tagen nach der Erde bringen. Man hatte verschiedene Maßregeln ausgedacht,
um den Menschen die friedliche Absicht kundzutun, insbesondere die
Übermittlung von direkten Nachrichten durch Hinabwerfen geeigneter
Gegenstände auf die Erde. Die Hauptsorge für Ell war, ob er noch zurecht
kommen würde, den Einsturz der Außenstation zu verhindern. Mit noch
nie erlebter Geschwindigkeit schoß der ‚Glo‘ durch den Weltraum.

Die Störungen des abarischen Feldes und der Außenstation waren zwar
in der letzten Zeit auch von den Menschen wahrgenommen worden, doch
reichten ihre Kenntnisse und Mittel nicht aus, sie in ihren Ursachen
zu erkennen und ihre Bedeutung zu beurteilen. Man wußte nicht, in wie
großer Gefahr die Station schwebe, wenn nicht schleunigst eine Korrektur
eintrete. Als sich Ells Raumschiff der Station näherte, bemerkte Fru,
der genaueste Kenner dieser Technik, der Ell freiwillig begleitet hatte,
daß die Hilfe nur von der Erdoberfläche aus zu bringen sei. Von dorther
mußte das Feld reguliert werden. Er bezweifelte, ob die regelrechte
Beförderung im Flugwagen überhaupt noch möglich sei oder es für die
nächsten vierundzwanzig Stunden bleiben werde, und da Ell fürchtete,
viel kostbare Zeit zu verlieren, ehe er sich vom Raumschiff aus mit
der Außenstation verständigen könne — denn dies war nur durch
unzureichende Signale möglich —, so beschloß er, überhaupt vom
Anlegen am Ring abzusehen. Er wollte vielmehr versuchen, sogleich so
weit in die Atmosphäre hinabzusteigen, bis die Dichtigkeit der Luft das
Aussetzen eines Luftschiffes gestattete, und mit diesem wollte er nach
dem Pol direkt sich begeben. Es war dabei wichtig, der Erdachse so nahe
wie möglich zu bleiben, obwohl er allerdings hier befürchten mußte,
von den Menschen angegriffen zu werden, ehe er seine friedlichen Absichten
darlegen konnte.

Das Raumschiff hatte sich bis auf zwanzig Kilometer der Erdoberfläche
genähert und kam nun in die Luftschichten, die freilich bei ihrer
geringen Dichtigkeit den Menschen noch nicht gestatteten, sich in ihnen
ohne Schutz aufzuhalten, aber doch die Grenze bildeten, bis zu welcher
sich dicht verschlossene Luftschiffe allenfalls erheben konnten. Gern
wäre Ell noch weiter hinabgestiegen, indessen schon nahten sich
Kriegsschiffe der Menschen, deren Angriff er das schutzlose Raumschiff
nicht aussetzen durfte. Aber diese trauten ihrerseits dem Raumschiff nicht
und hielten sich in so weiter Entfernung, daß der Austausch von Signalen
nicht möglich war. Die Martier ließen ihre in Kapseln eingeschlossenen
Briefe durch eine besondere Vorrichtung aus dem hermetisch geschlossenen
Raumschiff herabfallen, doch war nicht darauf zu rechnen, daß sie im
Gewirr der Eisschollen des Bodens gefunden werden würden. Inzwischen
drängte Fru auf einen entscheidenden Entschluß, da jede Stunde die
Gefahr für die Erhaltung der Station vergrößerte.

So entschloß sich Ell, das Raumschiff in einer Höhe zu verlassen, zu
der die Luftschiffe nicht emporsteigen konnten. Hier war freilich das
Luftschiff der Martier, auf welchem er das Raumschiff verlassen mußte,
selbst der Gefahr ausgesetzt, sich nicht schwebend halten zu können.
Dennoch war der Versuch, auf diese Weise zur Erde zu gelangen, die einzige
Möglichkeit, die übrig blieb. Und Ill schwankte keinen Augenblick,
die gefahrvolle Landung zu versuchen.

Um das Luftboot so leicht wie möglich zu machen, nahmen außer Ell
und Fru nur noch zwei Ingenieure in demselben Platz. Dann wurde es
verschlossen und die Entladungskammer des Raumschiffs geöffnet. Sobald
das Luftschiff von seinem Halt gelöst war, stürzte es mit großer
Geschwindigkeit abwärts. Sofort wurden die Flügel ausgespannt und
der Fall in eine schiefe Ebene übergeleitet, die in der Richtung nach
dem Pol hinführte. So gelangte das Luftschiff bis in die Höhe von
zehn Kilometern hinab und hatte sich damit dem Pol so weit genähert,
daß seine Bahn in eine Schraubenlinie verändert werden mußte, damit
es nicht zu weit vom Pol fortschösse. Jetzt hatten die amerikanischen
Kriegsschiffe das martische Schiff bemerkt und näherten sich ihm, in ihre
Nihilitpanzer gehüllt. Es gelang den Martiern, ihr Schiff zu ruhigem
Schweben zu bringen. Wie jedoch sollte man sich bei den geschlossenen
Schiffen verständigen? Und sie zu öffnen, verbot die noch viel zu stark
verdünnte Luft dieser Höhe. Fru strebte danach, durch weiteres Sinken um
einige tausend Meter in dichtere Luftschichten zu gelangen. Deshalb zog er
die Flügel des Luftschiffs ein. Nun erst vermochten die amerikanischen
Schiffe die große weiße Fahne zu erkennen, die das martische Schiff
als Friedenszeichen führte. Sie näherten sich trotzdem weiter. Das
eine legte sich in die Fallinie des martischen Schiffes und deutete
damit an, daß es ein weiteres Sinken nicht zulassen würde. Das andere
zog zum Zeichen des Verständnisses seinen Nihilitpanzer ein und kam
dem martischen Schiff so nahe, daß man die hinter den schützenden
Robscheiben ausgeführten Signale verstehen konnte.

Ell signalisierte: „Wir bringen den Friedensvertrag. Ich, Ell, bin mit
dem Abschluß beauftragt. Laßt uns sofort nach der Station.“

Der Kapitän antwortete: „Ich bin hocherfreut, darf Sie aber nicht
näher heranlassen, bis ich Instruktionen erhalten habe. Es werden
sogleich weitere Schiffe eintreffen.“

Darauf erwiderte Ell: „Es ist höchste Gefahr, die Außenstation ist
im Gleichgewicht gestört. Lassen Sie uns sogleich hin.“

Hierdurch wurde der Kapitän mißtrauisch. Er signalisierte: „Das
verstehe ich nicht.“

Ell war der Verzweiflung nahe. Der zähe Amerikaner antwortete nicht,
und alles konnte an einer halben Stunde hängen, um die man zu spät zur
Station kam. Auch Fru wußte nicht, was zu tun sei. Das Signalisieren
nahm zu viel Zeit in Anspruch. Ja, wenn man sprechen könnte! Die Schiffe
lagen jetzt dicht nebeneinander. Aber durch die geschlossenen Hüllen
konnte der Schall nicht dringen.

„Ich spreche hinüber!“ rief Ell. „Wir können nicht länger warten.“

„Unmöglich“, rief Fru.

„Es muß gehen.“

Ehe ihn die andern hindern konnten, hatte er den Verschluß, der
zum Verdeck führte, geöffnet und wieder geschlossen. Er stand
auf dem Verdeck in der eisigen dünnen Luft. Mit Erstaunen sah man
vom amerikanischen Schiff aus ihm zu. Ell winkte und rief durch ein
Sprachrohr. Man verstand, daß er sprechen wolle. Der Kapitän, in seinen
Pelz gehüllt, den Sauerstoffapparat vor dem Mund, trat ebenfalls auf das
Verdeck. Ell mußte, um zu sprechen, die Sauerstoffatmung unterbrechen.
Er mußte schreien, um in der dünnen Luft gehört zu werden. So setzte
er dem Kapitän die Tatsachen auseinander. Dieser schüttelte einige Male
den Kopf, dann begann er zu verstehen, er nickte. Er hütete sich wohl zu
sprechen. Mehrere Minuten waren darüber vergangen. Ell fühlte, wie es
ihm im Kopf sauste, wie sein Herz schlug, wie seine Glieder erstarrten,
seine Augen nichts mehr erkannten. Aber der Amerikaner trat in sein Schiff
zurück, und im Augenblick darauf entfernte es sich nach dem Pol zu.

Fru öffnete den Verschluß und zog Ell in das Innere des Schiffes. Er
faßte den Zusammensinkenden in seine Arme, ein Blutstrom brach aus Ells
Munde. Vergeblich bemühten sich die Martier um den Leblosen, während
ihr Schiff in rasender Eile dem Amerikaner nach dem Pol folgte.

                                 *     *     *

Die Mittagssonne eines klaren, windstillen Dezembertages lag auf den
Bergen, deren helle Landhäuser über das Etschtal und die beschneiten
Höhen weit nach Süden hin schauten. Es war warm wie im Frühling auf
der Veranda, an deren Geländer La lehnte. Ihre Blicke waren auf den
Fußweg gerichtet, der von der Stadt nach der Villa emporführte. Dort,
wo der Pfad aus dem Tannenwald hervortrat, um in mehrfachen Windungen
den steilen Rasenabhang vor dem Haus zu erklimmen, wurde jetzt Saltners
Gestalt sichtbar. Er kam aus der Stadt. Mit Vorliebe pflegte er den Weg,
obwohl er eine Stunde tüchtigen Steigens in Anspruch nahm, zu Fuß
zurückzulegen, um, wie er sagte, nicht aus der Übung zu kommen. Sonst
vermittelte das Luftschiff den Verkehr in wenigen Minuten. Als er La
erkannte, schwang er den Hut und sprang schneller den Pfad hinauf. Bald
stand er auf der Veranda.

„Sind Nachrichten da?“ rief La ihm entgegen.

„Vom Mars noch nicht, aber vom Südpol“, sagte er, sie mit einem
Kuß begrüßend.

„So ist die Einstellung noch immer nicht gelungen?“

„Nein, aber man hat die Annäherung eines Raumschiffes beobachtet, das
der ‚Glo‘ zu sein scheint. Es vermeidet jedoch die Station und scheint
sich unter dieselbe herab bis in die Atmosphäre senken zu wollen. Die
amerikanischen Luftschiffe bewachen die gesamte Umgebung des Pols.“

La atmete auf. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagte sie. „Hoffentlich
begegnet man ihm nicht feindlich, ein einzelnes Raumschiff ist nicht zu
fürchten, es wird Nachrichten bringen wollen.“

„Man kann das nicht wissen. Es ist gar nicht zu sagen, was die Martier
möglicherweise sich ausgedacht haben und womit sie uns überraschen. Du
warst selbst sehr besorgt.“

„Ja, wenn Oß gesiegt haben sollte, wäre allerdings alles zu
befürchten.  Die ‚Erdbremse‘ ist nicht bloß Phantasie, ich weiß,
daß er solche Gedanken schon mit sich herumtrug, als er noch Assistent
des Vaters war.  Gebe Gott, daß das Schiff eine gute Nachricht bringt.“

„Wir wollen uns nicht vor der Zeit ängstigen“, sagte Saltner, indem
er den Arm um ihre Schulter legte, um sie von der Veranda ins Haus
zu führen.

In diesem Augenblick hallte vom Tal ein Kanonenschuß herauf. Gleich
darauf ein zweiter und dritter.

„Was ist das?“ fragte La erschrocken.

Beide kehrten um und blickten auf die Stadt hinab. Wieder ertönten die
Schüsse. Sie spähten mit den Ferngläsern hinunter.

Saltner ergriff Las Hand.

„Es muß eine gute Nachricht sein“, rief er. „Schau dort, an den
Türmen und auf den Schlössern werden die Fahnen aufgezogen. Sollte
etwa —“

„O Sal, wenn es der Friede wäre!“

Saltner eilte ans Telephon. Er sprach das Telegraphenamt an. Eine Weile
mußte er warten, weil die Beamten voll beschäftigt waren. Dann kam
die Antwort.

„Botschaft vom Mars. Der Friedensvertrag nach Vorschlag der Erdstaaten
vom Zentralrat genehmigt. Ell mit dem Abschluß des Friedens auf der
Erde beauftragt. Nähere Nachrichten stehen noch aus.“

La fiel ihrem Mann um den Hals. Tränen der Freude drängten sich in ihre
Augen. Er schloß sie in seine Arme. Er wußte, was in ihr vorging. Jetzt,
erst jetzt fand sie die volle Ruhe, nun war ihr Bund bestätigt vom
Geschick der Planeten.

„Wollen wir hinab, um die neuen Nachrichten in Empfang zu nehmen?“
fragte er.

„Laß uns hierbleiben. Ich möchte jetzt nicht gerade unter die Menschen.
Bleibe bei mir in unserm Haus!“

„So soll Palaoro mit dem kleinen Schiff hinab, um uns sogleich die
Extrablätter mit neuen Nachrichten heraufzubringen. Du hast recht,
geliebte La!“

Noch ehe Palaoro zurückkehrte, erfuhr Saltner durch ein telephonisches
Gespräch mit einem Freund den Hauptinhalt der neuen Depeschen. Diese
waren aber so unklar und zum Teil widersprechend, daß La und Saltner
nicht wußten, was sie davon halten sollten. Es hieß, die Gesandtschaft
unter Ells Führung sei zum Abschluß des Friedens eingetroffen und
habe die Friedensbotschaft selbst auf die Erde gebracht. Sie sei aber
an der Landung verhindert worden, weil eine Beschädigung des abarischen
Feldes vorläge. Eine spätere Depesche besagte, die Außenstation sei im
Begriff, zusammenzustürzen, oder sei schon eingestürzt. Die Deputation
der Marsstaaten sei dabei verunglückt. Die letzte Nachricht meldete,
die Bestätigung des Friedensvertrages mit den Marsstaaten sei bereits
an die Regierungen telegraphiert. Der Erbauer der Station, Fru, sei zur
Rettung der Außenstation vom Mars herbeigeeilt.

La und Saltner tauschten noch ihre Ansichten über die Bedeutung dieser
Nachrichten aus, als Palaoro mit dem Luftboot anlangte. Das erste,
was er überreichte, war eine lange Depesche an La.

Sie riß den Umschlag auf.

„Vom Vater“, rief sie jubelnd. „Er kommt zu uns!“ Sie durchflog das
Blatt. Ihre Züge wurden ernst.

„Was ist geschehen?“ fragte Saltner besorgt.

„Der Vater ist gesund und die Station ist gerettet —“

„Gott sei Dank!“

„In der letzten Stunde. Mit Mühe gelang es dem Vater, das Unheil noch
abzuwenden. Daß die Unseren zurechtkamen, verdanken sie der Aufopferung
Ells. Und er —“

Saltner beugte sich über das Blatt. La hob ihre tränenfeuchten Augen
zu ihm auf, er küßte ihre Stirn.

„Das Andenken dieses Edlen ist unvergeßlich“, sagte er. „Er war
der Führer auf dem Weg, den die Welt nun wandeln kann zu Freiheit
und Frieden.“