Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten

 40. Ismas Leiden

Inzwischen war man auf dem Mars recht ungeduldig. Nachdem die Abreise
des ersten Raumschiffs sich bereits verzögert hatte, vergingen
weitere fünfundzwanzig Tage, bis die erste kurze Lichtdepesche die
glückliche Ankunft desselben auf der Außenstation am Südpol der Erde
meldete. Dann dauerte es wieder einige Tage, bis man erfuhr, daß die
übrigen Raumschiffe ebenfalls angelangt und die Luftschiffe in Betrieb
gesetzt seien. Die Verzögerung der Antwort seitens der britischen
Regierung wirkte verstimmend. Man war daher angenehm überrascht,
als man vernahm, daß die Regierung zu einem tatkräftigen Vorgehen
entschlossen war, und als das Ultimatum an England bekannt wurde, wurden
dem Zentralrat und insbesondere Ill lebhafte Ovationen dargebracht. Die
nach der Erde mit Verstärkung abgehenden Schiffe wurden mit begeisterten
Abschiedshuldigungen gefeiert. Man bedauerte nur, daß die Nachrichten
von der Erde so kurz und spärlich waren, weil man auf den schwierigen
Verkehr durch Lichtdepeschen angewiesen war.

Mit Spannung sah man der Rückkehr des ersten Raumschiffes entgegen,
welches ausführlichere Nachrichten bringen mußte. Aber da die Planeten
jetzt von Tag zu Tag sich weiter voneinander entfernten, dauerte die
Überfahrt länger. Jetzt war seine Ankunft indessen jeden Tag zu
erhoffen. Ill wollte nur dieses Ereignis abwarten, um sich selbst nach
der Erde zu begeben.

Niemand aber ersehnte die Ankunft des Schiffes ungeduldiger als Isma.
Sollte es ihr doch Nachrichten von der Erde bringen. Sie wußte zwar,
daß sie mit diesem Schiff noch keinen Brief von ihrem Mann erhalten
konnte, denn es hatte die Erde verlassen, ehe eine Antwort auf ihr
Schreiben in Sydney eintreffen konnte. Aber sie hoffte auf Zeitungen,
die ja über die Rückkehr Torms Auskunft geben mußten.

Isma lebte einsam und traurig in Ills Haus, und alle Bemühungen der
guten Frau Ma, sie zu erheitern, waren vergeblich. Ell begleitete Ill auf
seinen häufigen Reisen nach dem Südpol und der Schiffsbaustätte. Bei
Isma ließ er sich nicht mehr sehen, und heimlich bereute sie ihre
leidenschaftliche Trennung von dem alten Freund. La war in der Ferne. Zu
andern Martiern vermochte sie in kein vertrauteres Verhältnis zu kommen.
Ihr einziger näherer Umgang war Saltner, der seinen Sprachunterricht
in Kla wieder aufgenommen hatte. Aber auch er war nicht mehr der
übermütige, lustige Mann wie früher, und Isma bemerkte wohl, daß
ihn noch eine andere Sorge drückte als das Heimweh und der Kummer
um das Schicksal der Menschen. Und doch war es schon schwer genug,
hier in der Verbannung zu leben, während das Vaterland in drohendster
Gefahr schwebte.

Und endlich, heute war die Depesche gekommen, daß das Raumschiff in der
Nacht gelandet sei. Kaum vermochte Isma ihre Aufregung zu beherrschen.
Doch die Aufgaben des Tages mußten erledigt werden, sie zwang sich zur
Ruhe, obwohl sie bei jedem Geräusch hoffte, man bringe die ersehnten
Nachrichten.

Die französische Konversationsstunde war beendet. Isma schloß die
Klappe des Fernsprechers und setzte sich an ihren Schreibtisch. Er
war ein Geschenk Ells, der ihn nach dem Muster ihres Schreibtisches in
Friedau aus der Erinnerung so gut wie möglich hatte herstellen lassen,
weil er wußte, daß Isma die Schreibmaschine und die Möbel der Martier
nicht sehr liebte. Sie zog wieder ihr Tagebuch hervor. Die Zeitrechnung
machte ihr Schwierigkeiten, denn der Marstag war um 37 Minuten länger
als der Erdentag, da sie aber stets einen Marstag gleich einem Erdentag
in ihrem Buch gerechnet hatte, so mußte sie alle neununddreißig Tage
einen Erdentag überspringen, um nicht gegen den Kalender der Erde zu
weit zurückzubleiben. Das war nun jetzt zum viertenmal der Fall — so
lange weilte sie auf dem Mars! Sie fand, daß heute auf der Erde der 27.
Februar sei, ein Sonntag! Und der Geburtstag ihres Mannes! Wie glücklich
hatte sie diesen Tag sonst verlebt, und mit welchen Hoffnungen im vorigen
Jahr! Und wo mochte Hugo jetzt weilen? Der Trost, den seine Rettung
ihr gewährte, hatte nur auf kurze Zeit angehalten. Die Unmöglichkeit,
sich mit ihm so zu verständigen, wie es ihr Herz verlangte, erhöhte nur
ihre Sehnsucht und ihre Sorge. Was hatte er von ihr gehört, in welchem
Licht mußte sie ihm erscheinen, wie würde er ihre Handlungsweise
beurteilen? Konnte er ihr Glauben schenken? Wie enttäuscht und einsam
mußte er sich fühlen wenn er das Haus leer fand, wo er sein Glück
wiederzufinden hoffte!

Das Herabfallen der Fernsprechklappe schreckte sie aus ihren Gedanken.

„Liebe Isma, sind Sie da? Ja? Ich bringe Ihnen etwas!“ Es war die Stimme
von Frau Ma. Im Augenblick war Isma aufgesprungen. Schon erschien Ma an
der Tür.

„Da, Frauchen“, rief sie, „da haben Sie die ganze Post für Sie. Ein
großes Paket, nicht wahr? Ill hat alle deutschen Zeitungen aufkaufen
lassen, die in Sydney zu haben waren. Und nun ängstigen Sie sich nicht,
es wird alles gut werden. Ich will Sie jetzt nicht stören.“ Sie küßte
Isma auf die Stirn und ging.

Das Paket, von einem leichten Korbgeflecht umhüllt, lag auf dem Tisch.
Ismas Hände zitterten, als sie den Verschluß auseinanderbog. Ein
Haufen Zeitungen lag vor ihr. Sie setzte sich und zwang sich zur Ruhe.
Systematisch nahm sie ein Blatt nach dem andern zur Hand, sah nach dem
Datum und entfaltete es. Die Blätter waren offenbar schon von einer
kundigen Hand geordnet. Das erste war vom 24. September vorigen Jahres.
Gleich nach dem Leitartikel enthielt es in fettem Druck die Nachricht,
daß das englische Kanonenboot ‚Prevention‘ auf der Rückkehr
begriffen sei. Es habe in der Nähe von Grinnell-Land einen siegreichen
Kampf mit einem Luftschiff, angeblich den Bewohnern des Planeten Mars
gehörig, bestanden. An Bord befinde sich der Leiter der deutschen
Nordpolexpedition, Torm, der von wandernden Eskimos dahin gebracht sei
— — —

Isma las nicht weiter. Sie ergriff ein neues Blatt. „Torm in
London.“ Sie überflog nur die Zeilen. „Tiefergreifend wirkten auf
den kühnen Forscher die Nachrichten über das Schicksal der übrigen
Expeditionsmitglieder, insbesondere die glückliche Heimkehr Grunthes
und die Rettung der wissenschaftlichen Resultate. Aber alles tritt im
Augenblick in den Hintergrund gegenüber der Tatsache, daß die Martier
—“ — Weiter — „Der Festabend der geographischen Gesellschaft
litt unter der getrübten Stimmung des Gefeierten, den traurige
Familiennachrichten niederdrückten —“

Isma seufzte tief. Sie vermochte kaum zu lesen. Jeden Augenblick
fürchtete sie auf ihren Namen zu stoßen und die Verleumdung öffentlich
ausgesprochen zu sehen. Aber es war nichts weiter gesagt. Ein anderes
Blatt! „Torm in Hamburg. Begeisterter Empfang.“ — Weiter! „Torm
in Berlin. — Rührendes Wiedersehen von Torm und Grunthe. —
Allgemein bedauerte man die Abwesenheit Friedrich Ells, des geistigen
und pekuniären Vaters der Expedition, der sich bekanntlich nach dem
Mars begeben hat. — Wie wir hören, beabsichtigt Torm, seinen Wohnsitz
vorläufig in Berlin zu nehmen —“

Isma atmete auf. Diese Zeitung wenigstens schien diskret zu sein —
man wollte offenbar den verdienten Forscher schonen.

Und sie, sie sollte schuld sein, daß man ihn schonen mußte? Was mochten
andere von ihr sagen? Und warum sagte man nicht offen, weshalb sie
fortgegangen war — Grunthe wußte es doch, er konnte sie rechtfertigen.

„Es glaubt ihm niemand!“ Wie ein Schrei entrang es sich Isma. Mechanisch
blätterte sie weiter. Da haftete ihr Auge auf einer Stelle.

„Infolge der gehässigen Angriffe, die von gewissen Blättern
gegen den Martier-Sohn Friedrich Ell gerichtet werden und die sich
bemühen, die Gattin unseres großen Landsmanns Torm zu verleumden,
sehen wir uns gezwungen, von unserm Grundsatz abzugehen, wonach wir um
persönlichen Klatsch uns nicht kümmern. Wir sind jedoch in der Lage,
aus bester Quelle jene schamlosen Hetzereien zurückzuweisen, die,
soviel wir wissen, ihren Ursprung aus einem Artikel des Friedauer
Intelligenzblattes genommen haben. Es war dort gesagt, jedermann in
Friedau wisse, daß zwischen Ell und Frau Torm intime Beziehungen seit
Jahren bestanden hätten. Die Polarexpedition, so deutete man an, sei
von Ell angeregt, um Torm zu entfernen. Auf die Nachricht von seiner
zu erwartenden Rückkehr habe Frau Torm ihr Haus verlassen und sei aus
Friedau verschwunden. Man vermute, daß sie mit ihrem Freund nach dem
Mars gegangen sei, und so weiter. — Dies alles ist erbärmliche Lüge.
Herr Dr. Karl Grunthe, der Begleiter Torms, an dessen Wahrhaftigkeit
wohl selbst das Friedauer Intelligenzblatt nicht zu zweifeln wagen
wird, schreibt uns, daß Frau Torm in seiner Gegenwart in einer mit
Ell geführten Unterredung sich entschlossen habe, das Luftschiff der
Martier zu benutzen, um auf demselben Nachforschungen nach dem Verbleib
ihres verschollenen Gemahls anzustellen und die Rettung desselben zu
betreiben. Ohne Zweifel ist es dasselbe Luftschiff, welches in Konflikt
mit dem englischen Kanonenboot ‚Prevention‘ geraten ist, zu einer
Zeit, als sich Torm noch bei den Eskimos befand. Nicht aufgeklärt bleibt
nur, warum das Luftschiff Friedau eher als geplant, mitten in der Nacht,
verlassen hat und warum es dann, entgegen der Zusage des Befehlshabers,
nicht nach Friedau zurückgekehrt ist. Man kann hieraus die Befürchtung
ziehen, daß ihm irgendein Unglücksfall zugestoßen ist, und dies um
so mehr, als der Kapitän Keswick versichert, durch seine Beschießung
das Luftschiff beschädigt zu haben. Alle andern Schlüsse aber sind als
Verleumdungen zurückzuweisen. Der heldenmütige Entdecker des wahren
Nordpols, den der unerklärliche Verlust seiner geliebten Gattin tief
niederdrückt, verdiente wohl, daß man ihn im eigenen Vaterland nicht
noch in seinem Teuersten beschimpft.“

Die Nummer der Zeitung war bereits vom November des vorigen Jahres. Die
folgenden Nummern, die bis zum Anfang Januar dieses Jahres reichten,
schienen nichts weiter über diese Angelegenheit zu enthalten. Wenigstens
fand Isma beim eiligen Durchblättern keine dahinzielende Notiz, und
sie hoffte schon, die Erklärung habe ihre Wirkung getan.

Isma saß lange unfähig ihre Gedanken zu ordnen, den Kopf in die Hände
gestützt. Dann begann sie weiterzusuchen. Es folgten jetzt Exemplare
anderer Zeitungen, sogar einige Witzblätter. Da sah sie mit Abscheu
und Entsetzen, daß man offenbar im großen Publikum sich nicht an die
gegebene Aufklärung kehrte. Wo von Ell die Rede war — und sein Buch
über die Martier wurde überall erwähnt — da fand sich auch irgendeine
hämische oder witzelnde Bemerkung. Was mußte Torm dabei fühlen! Isma
wollte nichts mehr sehen, sie ballte die Hände zusammen. Da erblickte
sie auf der halbgebrochenen Seite eines Witzblattes unverkennbar das
Gesicht Torms — sie schlug das Blatt auf. Es war eine Karikatur —
Torm in einem Luftballon auf dem Nordpol, über ihm ein Luftschiff der
Martier, worin Ell und Isma ihm lange Nasen drehen — — Sie las nicht,
was darunter stand, sie sprang auf und ergriff den Rest der noch nicht
durchblätterten Papiere, um sie fortzuschleudern.

Da, was fällt da herab? Ein zusammengelegtes, geschlossenes Papier —
eine telegraphische Depesche — ein Formular des Telegraphenamts in
Sydney — die Adresse ist in englischer Sprache geschrieben — ‚An
die Gesandtschaft der Marsstaaten für Frau Torm‘.

Isma reißt das Papier auf. Der Inhalt ist deutsch, mit lateinischen
Buchstaben von einer englischen Hand geschrieben. Die Buchstaben tanzen
vor ihren Augen, sie kann sie kaum entziffern.

„Berlin, den 6. Januar. Herzlichen Dank für die Aufklärung durch
dein langes, liebes Telegramm! Das Mißgeschick, das dich fernhält,
schmerzlich betrauernd, sende ich innige Grüße in treuer Liebe und
erhoffe baldiges, ungetrübtes Wiedersehen. Dein Torm!“

Das Telegramm entsank ihrer Hand, und ihre nervöse Spannung löste sich
in einem schluchzenden Weinen. Eine direkte Nachricht hatte sie nicht
erwartet. Sie wußte, daß die Martier am 2. Januar nach Sydney gekommen
waren und das Raumschiff bereits Mitte Januar die Erde wieder verlassen
hatte. In dieser Zeit konnte kein Brief nach Berlin gelangen. Dein
langes, liebes Telegramm! Also man war so aufmerksam gewesen, ihren
ganzen Brief an Torm zu telegraphieren. Ein leichter Schreck durchzog
ihr sparsames Hausfrauenherz, wenn sie an die ungeheuren Kosten dieses
Riesentelegrammes dachte. Aber es versöhnte sie einigermaßen mit
der Hartnäckigkeit der Martier, nur offene Briefe zuzulassen. Sie war
glücklich über das Telegramm, das kein Wort des Vorwurfs enthielt,
und doch wie wenig sagte es! Aber was kann man auch in einem Telegramm
sagen! Sie las die wenigen Zeilen immer wieder.

Ma trat in das Zimmer.

„Sitzen Sie nun schon zwei Stunden über den Blättern, Frauchen? Und
geweint haben Sie auch? Ärgern Sie sich nur nicht. Was gibt es denn?“

Isma versuchte zu lächeln. „Hätte ich nur das Telegramm eher
gefunden“, sagte sie, „so hätten mich die dummen Menschen weniger
gekränkt.“

„Aber Sie haben ja den Korb auf der falschen Seite geöffnet — es hat
doch wahrscheinlich obenauf gelegen. Und nun kommen Sie gleich einmal
mit mir! Saltner ist da, er hat auch Nachrichten, von seiner Mutter und
von Grunthe. Und Ell hat die Depesche hergeschickt, die er von Ihrem
Mann bekommen hat. Es ist doch nett von Ell, daß er alle euere Briefe
an ihre Adresse hat telegraphieren lassen und sofortige telegraphische
Antwort bestellt hat.“

Isma erhob sich. „Ich komme sogleich“, sagte sie.

Also Ell hatte sie es zu verdanken, daß sie schon eine Antwort bekommen
hatte! Während sie ihre Augen kühlte und ihr Haar ordnete, bedrückte
sie der Gedanke, daß ihr Brief zwanzig Seiten, eng beschrieben — das
waren gewiß an die viertausend Worte — enthalten hatte. Wenn Ell das
alles telegraphieren ließ, das war ja eine Depesche für zwanzigtausend
Mark!  Früher hätte sie bei Ell überhaupt nicht daran gedacht, daß
zwischen ihnen ein Abwägen des Gebens oder Nehmens bestehen könne,
aber jetzt war es ihr peinlich, sich so verpflichtet zu fühlen.

Bei ihrem Eintritt in das Empfangszimmer hielt ihr Saltner zuerst
freudestrahlend ein Telegramm entgegen, das sie gar nicht zu entziffern
vermochte. Es war von seiner Mutter. Aus den abgebrochenen, nicht
ganz dialektfreien Sätzen, welche die gute Frau in der Absicht, recht
kurz zu sein, gebaut hatte, war durch den englischen Telegraphisten ein
unmögliches Kauderwelsch geworden. Saltner aber genügte es vollständig,
daraus die Freude der Mutter über sein Wohlbefinden zu ersehen, und
jedes verstümmelte Wort machte er mit rührender Sorgfalt zu einem
besonderen Studium.

Grunthe hatte nur kurz an Saltner telegraphiert, daß die plötzliche
Abreise Ells sehr störend für die Stimmung der Bevölkerung in bezug
auf die Martier sei, da er selbst die gegen Ells Schriften erhobenen
Bedenken nicht genügend widerlegen könne. Die politischen Verhältnisse
bezeichnete er als ziemlich trostlos; seine Ansicht, daß man alle
von den Martiern gestellten Forderungen bewilligen müsse, um ihnen
jede Veranlassung zu nehmen, sich in die menschlichen Angelegenheiten
einzumischen, finde wenig Anhänger. Man unterschätze die Macht der
Martier und baue auf ihre Unfähigkeit, sich außerhalb ihrer Schiffe
auf der Erde zu bewegen, während doch rückhaltloses Vertrauen und
reiner Wille die einzigen Mittel sein würden, den Einfluß der Nume
zum Besten zu lenken.

Isma hatte die Zeilen nur durchflogen, um nun in Ruhe Torms langes
Telegramm an Ell zu lesen. Es trug das Datum vom 8. Januar. Zunächst
war es rein geschäftlich gehalten, ein Bericht des Leiters der
Nordpolexpedition an deren Veranstalter. Was Isma am meisten
interessierte, die persönlichen Schicksale Torms, war nur kurz
geschildert. Dann aber hieß es:

„Ich bedauere tief, daß Sie den heldenmütigen, aber übereilten
Entschluß meiner Frau unterstützten und Friedau unter so ungewöhnlichen
Umständen verließen. Mir persönlich, wie dem allgemeinen Interesse
entstehen dadurch Schwierigkeiten, die sich noch gar nicht absehen
lassen. Bieten Sie allen Einfluß auf, um Ismas Rückkehr zu ermöglichen,
und kommen Sie selbst, um Ihre Sache zu führen. Wirken Sie darauf hin,
daß die Marsstaaten keine anderen Bestrebungen verfolgen, als ganz
allmählich einige ihrer technischen Fortschritte uns zugänglich
zu machen. Von jeder direkten Einwirkung befürchte ich Unheil für
die Menschen. Ich bleibe vorläufig in Berlin. Leider scheint in den
maßgebenden Kreisen Entschlußlosigkeit zu herrschen. Ich bestätige
dankend den Empfang der von Ihnen für die nachträglichen Kosten der
Expedition angewiesenen Summe von 100.000 Mark. Torm.“

Isma ließ das Blatt sinken. Sie fühlte sich unsäglich elend. Um ihren
Mann zu retten, hatte sie sich zur Reise entschlossen, und was hatte sie
erreicht! Welche Qualen hatte sie ihm bereitet! Und den Freund abgezogen
von seiner höchsten Pflicht, für den Frieden der Planeten zu wirken! Und
sie selbst, einsam, machtlos, verbannt — —

Sie sprang auf und faßte Mas Hände.

„Lassen Sie mich fort“, rief sie leidenschaftlich. „Ich muß nach
der Erde, ich muß zu meinem Mann! Ich muß Ell sprechen. Wo ist er?“

„Aber Frauchen, was ist Ihnen? Zu Ell können Sie jetzt nicht, er ist
nach dem Pol gereist, um mit Ill zu konferieren. Aber beruhigen Sie
sich. Die nächsten Tage werden alles entscheiden. Ich darf ihnen sagen,
wir verhandeln mit den Mächten, auch mit ihrem Vaterland. Sobald der
Frieden gesichert ist, sollen Sie nach Hause.“

„Ich gehe natürlich mit“, rief Saltner. „Auf Ell rechnen Sie nicht,
für ihn ist es jetzt zu spät, oder noch zu zeitig. Was er versäumt hat,
kann er jetzt nicht einholen. Er hätte mit dem ersten Raumschiff nach
dem Südpol gehen und sich sofort nach Deutschland begeben müssen. Das
wollte er nicht. Es war ein großes Unrecht.“

„Und wann“, seufzte Isma, „wann kommt endlich die Befreiung.“

Ma sprach einige tröstende Worte, als sie plötzlich abberufen wurde.
Schon nach wenigen Minuten kehrte sie zurück.

„Weinen Sie nicht mehr“, sagte sie zu Isma, „ich bringe Wichtiges für
sie, hoffentlich Gutes: Nachricht von Ill. Er hat telegraphiert, weil
es vertraulich ist, und beim Sprechen weiß man nie, wer zuhört. Nun,
ich lese ja schon, hören Sie nur: Soeben meldet Lichtdepesche, daß
sämtliche Großmächte, falls England unser Ultimatum nicht annimmt,
Neutralität erklärt haben. Wir verpflichten uns gegen Verkehrsfreiheit,
jeder Einmischung in politische Angelegenheiten uns zu enthalten. Leider
Annahme des Ultimatums durch England aussichtslos.“

Saltner sprang auf. „Das ist doch etwas! So wird der Krieg wenigstens
lokalisiert, wenn man so sagen darf. England geht es freilich an den
Kragen, es ist ja traurig. Aber wir haben Frieden, Gott sei Dank! Nun
dürfen wir zurück, nicht wahr?“

„Ich zweifle nicht“, sagte Ma. „Gibt England nicht nach, so geht
übermorgen, sobald Ihr zweiter März anfängt, Raumschiff auf Raumschiff
nach dem Nordpol, und Sie dürfen sicher mitreisen. In vier bis fünf
Wochen können Sie daheim sein. Aber Frauchen, was machen Sie, wie
sehen Sie aus? Gleich kommen Sie mit mir, Sie müssen in Ihr irdisches
Schwerekämmerchen!“

Die Aufregung, die Sorge und nun die plötzliche Aussicht auf Heimkehr
hatten Ismas Widerstandskraft gelähmt. Alles Blut war aus ihrem Gesicht
entwichen, mit bleichen Wangen, einer Ohnmacht nahe, lag sie auf ihrem
Sessel. Ma umfaßte sie und führte sie schonend auf ihr Zimmer.


 41. Die Schlacht bei Portsmouth